Begegnungsstätte Alte Synagoge Dr. Ulrike Schrader: „Offene Gewalt gegen Juden“

Wuppertal · Seit 1994 ist Dr. Ulrike Schrader Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal. Im Interview mit Nikola Dünow spricht sie über Antisemitismus, Klischees über Juden und die Aufklärungsarbeit, die die Gedenkstätte leistet.

 Dr. Ulrike Schrader.

Dr. Ulrike Schrader.

Foto: Eduard Urssu

Ende Mai wurde ein Kippa-Tag in Wuppertal veranstaltet. Ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Ist es gefährlich, als Jude mit Kippa über den Werth zu gehen?

Dr. Ulrike Schrader: „Ich würde es nicht empfehlen. Die meisten frommen Juden in Deutschland tragen immer noch eine Kopfbedeckung zusätzlich, um die Kippa zu ,neutralisieren‘. Offene Gewalt gegen Juden ist nichts Ungewöhnliches in Europa. Da gibt es nichts zu beschönigen.“

Hat der Antisemitismus ihrer Einschätzung nach zugenommen?

Schrader: „Ich bin seit 1994 in der Gedenkstätte tätig. Die Klischees und Bilder von Juden waren schon immer problematisch, und das hat sich nicht verändert. Viele Leute haben merkwürdige Vorstellungen von Juden. Durch die demographische Veränderung hat sich das Thema zusätzlich verstärkt. Durch den Nahostkonflikt und die Zuwanderung wird der Konflikt permanent lebendig gehalten. Und durch die zunehmende Digitalisierung werden immer mehr diffamierende und verletzende Aussagen gegen Juden durchs Netz gespült unter den dem vermeintlichen Schutz der Anonymität. Das ist natürlich vor allem für die Polizei eine Herausforderung.“

Welche Bilder sind das zum Beispiel und woher kommen diese Negativ-Klischees?

Schrader: „Das Bild vom reichen Juden, der Geschäfte macht, verschwindet einfach nicht aus den Köpfen. Auch die Verschwörungstheorien sind sehr beliebt und gerade durch Corona wurden antisemitische Denkmuster noch verstärkt. Dem Judentum wird eine Übermacht zugeschrieben, die fern der Realität ist. Tatsächlich sind nur rund 0,2 Prozent der Bevölkerung weltweit jüdisch. Auch im Geschichtsunterricht werden teilweise falsche Stereotype weitergegeben. Das liegt an einer Nichtwahrnehmung in der Geschichtswissenschaft und an fehlendem Interesse, nach jüdischer Geschichte und Gegenwart zu fragen, aber auch daran, dass man nur wenig Gelegenheiten hat, Juden und Jüdinnen zu treffen und kennenzulernen. Außerdem fehlt häufig die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion in Abgrenzung zur Religion der anderen.“

In die Begegnungsstätte kommen viele Schulklassen und Jugendliche. Welche Erfahrungen machen Sie mit ihnen?

Schrader: „In einigen muslimischen Familien gibt es starke Sympathien für die Palästinenser und zugleich große Vorbehalte gegen Israel, das mit den Juden gleichgesetzt wird. Das kann zu einer judenfeindlichen Haltung führen. Einige junge Moslems äußern ihre Ressentiments gegen Juden hier bei uns im Haus auch ganz frei. Insgesamt hat die Radikalisierung der Religionen zugenommen.“

Was können Sie als Begegnungsstätte dem entgegensetzen?

Schrader: „Aufklärungsarbeit, wie wir sie leisten, ist nach wie vor das Beste. Daran müssen wir glauben. Neben unserer Ausstellung, die die Vielfalt und Dynamik des Judentums zeigt, bieten wir auch viele Lehrerfortbildungen an. Und wir haben einen Koffer mit Materialien zum Thema ,Antisemitismus‘ zusammengestellt. Der Koffer ist voller Informationen und soll zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Er kann von Schulen, Gemeinden, Konfi-Gruppen und Erwachsenengruppen ausgeliehen werden.“

Was steckt in dem Koffer drin?

Schrader: „Dort finden sich Beispiele von antisemitischen Vorfällen in Wuppertal wie etwa die Schändung des Friedhofs an der Hugostraße und der Mord an Karl Heinz Rohn im November 1992, die Leserbriefdebatte anlässlich der Einweihung der Synagoge im Dezember 2002 und der Brandanschlag auf die Synagoge im Sommer 2014. Es gibt ein Heft mit gesammelten Vorurteilen zu Israel, die mit Fakten entkräftet werden. In dem Koffer geht es auch um die ,Wittenberger Judensau‘, ein Relief, wie es aber an und in vielen Kirchen vorzufinden ist, und um die Anregung, über die Frage zu diskutieren, wie mit solchen historischen Überbleibseln umgegangen werden könnte. Auch ein Quiz ist dabei. Das Thema ist auch unterhaltsam aufgebaut, denn es soll die Nutzerinnen und Nutzer motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen.“

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