Leserbrief „Atmet die Wuppertaler Kleingeisterei“

Betr.: Engelshaus

Blick ins Engelshaus.

Blick ins Engelshaus.

Foto: Jan Turek

Wie würdigt Wuppertal den größten Sohn der Stadt, Friedrich Engels? Immerhin ist er weltweit berühmt als Mitbegründer des Marxismus, revolutionär denkend und handelnd. Schon bei dem Erwerb der Eintrittskarte eine Enttäuschung: Nein, das Museum für Frühindustrialisierung kann man wohl erst 2025 besuchen. Es sollte doch 2020 fertig renoviert sein?

Gut, dann bleibt das schöne Engelshaus selbst, seine zwei Etagen. Aber kurz gesagt: Was das Museum bietet, ist beschämend.

Zwar werden per Video einige Passagen aus dem Kommunistischen Manifest rezitiert und man sieht einige Übersetzungen der weltweit neben der Bibel am weitesten verbreiteten Schrift. Aber sonst? Tafeln beschreiben die Lebensstationen. Der interessierte Besucher erfährt, dass Engels sprachbegabt war (aber nicht, dass er zwölf Sprachen beherrschte und 20 verstand). Dass er 1848 auf den Barrikaden in Elberfeld stand. Dass er tolle Karikaturen zeichnete. Dass er als Jugendlicher ein Schauspiel geschrieben hat (dem wird im Unterschied zur Bedeutung sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet). Dass er anerkannter Militärexperte wurde.

Dass er die Sozialdemokratie „kritisch begleitet“ habe. Begleitet? Engels war mit Marx maßgeblich für die konsequent sozialistische Ausrichtung der Sozialdemokratie verantwortlich. Er sei Privatier geworden am Ende. Privatier? Er kämpfte unter anderem erfolgreich um die internationale Ausrichtung der Arbeiterbewegung, unterstützte die Familie Marx finanziell.

Aktuelle Bezüge? Fehlanzeige! Man erfährt kein Wort über die wissenschaftliche dialektisch-materialistische Methode, die es Engels übrigens auch ermöglichte, Militärexperte zu werden. Kein Wort darüber, dass er mit der Aufdeckung der doppelten Unterdrückung aller Frauen und der besonderen Ausbeutung der werktätigen Frauen maßgebliche Erkenntnisse für die Befreiung der Frau erarbeitete.

Besonders wichtig und zukunftsweisend angesichts der weltweit begonnenen Umweltkatastrophe sind die Aussagen, dass der Kapitalismus Mensch UND Natur ausbeutet; ebenso, dass man die Natur nur beherrschen kann in Übereinstimmung der Naturgesetze und nicht gegen sie.

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie ein solches Museum aktuell gemacht werden kann. Könnte, wenn man nur wollte!

Das Haus atmet die Wuppertaler Kleingeisterei, die Engels schon als Jugendlicher in seinen Briefen aus dem Wuppertal satirisch angriff. Er sperrt sich gegen den Versuch, ihn zum Marketingobjekt zu machen. In seinen Gedanken, seinen Methoden ist er weitaus lebendiger als dieses Museum!

Da lobe ich mir doch das Denkmal von Alfred Hrdlicka, das etwas wiedergibt von der Kraft, die von Engels ausgeht, ganz im Sinne der Aussage von Karl Marx: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.

Walter Kolbe

● Leserbrief an die Wuppertaler Rundschau: redaktion@wuppertaler-rundschau.de
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