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Wuppertaler Schauspiel: Totentanz mit Tiefgang

Wuppertaler Schauspiel : Totentanz mit Tiefgang

Wieso heißt dieses Stück eigentlich so, und warum haben manche der Figuren fäulnisartige Flecken auf der Haut? Das sind nur zwei Fragen, die sich dem Zuschauer bei „Ex. Mögen die Mitspieler platzen“, das jetzt im Theater am Engelsgarten Premiere hatte, stellen.

Das Ganze ist die deutschsprachige Erstaufführung von „Ex – que revienten los actores“ aus der Feder des uruguayischen Autors und Regisseurs Gabriel Calderón. Und hinter die Flecken auf der Haut kommt man recht schnell: Vier der sieben Figuren, die auf der von Vesna Hiltmann dezent, intelligent und sehr wandelbar gestalteten Bühne agieren, sind nämlich tot. Allerdings wissen diese Toten nichts von ihrem Tod.

Calderón nimmt in dem 90-Minuten-Stück, das von 2014 stammt, mit einer abenteuerlichen Handlungskonstruktion das finstere Kapitel der von 1973 bis 1984 dauernden Militärdiktatur in Uruguay in den Blick. Für die rasante Wuppertaler Inszenierung zeichnet Jenke Nordalm verantwortlich, für die Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche Peter Wallgram.

Motor dessen, was passiert, ist die junge Ana: Sie will wissen, was in ihrem Land in der jüngsten Vergangenheit geschehen ist – und welche Rollen viele ihrer Familienmitglieder dabei gespielt haben. Aber: Die noch leben, schweigen – und die Toten reden nicht.

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Da kommt Anas Freund Tadeo ins Spiel: Der schwerstverliebte Nachwuchswissenschaftler konstruiert eine Zeitmaschine, holt Anas Großvater, Vater, Mutter und Onkel per „Krawumm“ und Lichteffekten in die Gegenwart. Zu einer komödiantisch-gruseligen Familien-Weihnachtsfeier. Die lässt nicht nur den Zuschauern die Haare zu Berge stehen, sondern auch den Toten, als ihnen klar wird, dass sie erstens tot sind und zweitens, was hier gespielt wird.

Das alles mag nun vielleicht schwermütig klingen, präsentiert sich auf der Bühne aber komplett gar nicht so: Das optimal aufgelegte Ensemble zieht alle Register der schrägen Groteske, feuert aus allen Rohren, spult – vom ebenfalls toten Moderator kommentiert –, live vor und zurück in der Zeit und schält Schicht um Schicht der Vergangenheit ab. Bis zum Tohuwabohu-Ende, das es in sich hat und bei dem mindestens ein Spieß unerwarteterweise umgedreht wird.

Als Moderator agiert Alexander Peiler, der zugleich der bereits tote politische Häftling José ist: ausgezeichnet, unverkrampft, stets auf den Punkt. Seinen (ebenfalls toten) Bruder Jorge (und Vater von Ana) spielt Konstantin Rickert: Voller Fragen, voller Überraschtheit, sprachgehemmt, was die Vergangenheit angeht. Und mit Alexander Peiler zusammen auf dem Tiefgang-Höhepunkt, als die Brüder ihre Zeit im Guerilla-Widerstand diskutieren.

Komplett schräg, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, Silvia Munzón López als (tote) Ana-Mutter Graciela. Als habe man ihr Rückgrat, Hüften & Co. ausgesaugt, biegt sie sich zombie-weichkörperhaft und flucht in einer Dauerkanonade, die man auch im echten Leben selten bis nie erlebt. Ihre Schwiegermutter Julia wiederum lebt noch: Yulia Yáñez Schmidt spielt die Frau, die um viele Finsternisse weiß, aber schweigt, mit Körperpräsenz und ausgiebigem Weinkonsum fürs Vergessen.

Das höchst lebendige Paar Ana und Tadeo sind die quirlige, fordernde Julia Meier und der traumhaft tölpelige Kevin Wilke, den es am Ende – siehe „Die Geister, die ich rief ...“ – pechvogelhaft erwischt.

Über allem thront Stefan Walz, der (tote) Großvater von Ana. Sein Job während der Diktatur war es offenbar, als Arzt Folteropfer so lange am Leben zu halten, bis sie reden. Auch eigene Familienmitglieder? Walz gibt diesen bösartigen, wütenden, zum Schluss dementen Patriarchen mit der Klaviatur von Verbissenheit, Verleugnung und Verdrängung.

Ein tolles, intensives Hochgeschwindigkeits-Theaterexperiment, das auch vor deutschem Publikum zieht. Das Wuppertaler Schauspiel serviert ein eigentlich schweres Thema leicht und lustig, aber nie leichtfertig, nie lachhaft. Begeisterter Premieren-Applaus. Total verdient!

Nur – siehe Anfang: Warum dieses Stück eigentlich so heißt? Keine Ahnung. Ist aber eigentlich auch egal.