„Falsch“: Neues Stück im Wuppertaler Schauspiel Für wen würden wir lügen?

Wuppertal · „Falsch“ – mit diesem psychologischen Kammerspiel stellt die erfolgreiche niederländische Theaterautorin Lot Vekemans viele Fragen. Jetzt hatte die fokussierte Wuppertaler Schauspiel-Inszenierung von Anne Mulleners Premiere am Engelsgarten.

Was ist wahr in „Falsch“? Paula Schäfer (links) als jüngere, Julia Wolff als ältere Schwester.

Was ist wahr in „Falsch“? Paula Schäfer (links) als jüngere, Julia Wolff als ältere Schwester.

Foto: Anna Schwartz

Die Geschichte von „Falsch“, das nur 90 pausenfreie Minuten braucht, ist schnell erzählt: Wegen des Verdachtes, bei ihrer gemeinsamen Heimfahrt von einer Familienfeier einen tödlichen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verursacht zu haben, sitzen die Schwestern Kat und Sis in einem zellenartigen Polizeiraum. Und es gibt einen Zeugen des Unfalls: Den mit seinen zwei Hunden im Wald lebenden ehemaligen Zellbiologen Ge.

Die wahre Geschichte von „Falsch“ allerdings steht auf einem anderen Blatt. Was ist da passiert? Nur das, was offensichtlich scheint? Mehr? Weniger? Zwischen Kat (Julia Wolff) und Sis (Paula Schäfer) häutet sich die beachtlich große Zwiebel einer von zahllosen psychologischen Schichten bestimmten Familienbeziehung. Julia Wolff als Verantwortungs-Apostel mit Alkoholabhängigkeit hält sich und ihren Beruf der Theater-Schauspielerin für etwas Besseres. Ihr gegenüber Paula Schäfer als TV-Sternchen, kapriziös, publikumssüchtig – und hilfebedürftig. Sie beide agieren ausgezeichnet. Schon ihre Kleidung (Kostüme und Bühne: Matthias Dielacher und Chani Lehmann) könnte unterschiedlicher nicht sein. Das „beißt“ sich bewusst – und mit der ledergrünen Klappstuhl-Gummizelle, in der sie sitzen, sowieso. Mal mit feinem, mal mit grobem Werkzeug arbeiten die beiden Frauen sich aneinander ab. Sowie an ihrer „eingesperrten“ Situation, in der sich ganz langsam zeigt, dass es doch kein Leitpfosten war, den Sis am Steuer sitzend in jener Nacht gestreift hat.

Und der Zeuge? Kevin Wilke, der zuerst draußen ist vor der Gummizelle, aber doch auch eingesperrt in sich, gibt einen einsamen, gescheiterten, in manchem Licht diabolisch wirkenden Mann. Der ganzen Welt und vor allem der Polizei, die einen seiner Hunde getötet hat, misstraut er zutiefst. Welches Geheimnis hat er?

Mit diesen dreien ist auf der Bühne ein fesselndes Trio aktiv: Laute Töne und leise, verspritztes Gift, oft auch (nur angedeutete, aber spürbare) Gewalt. Eine anrührende Einspielung gibt es, in der Julia Wolff Jacques Brels Chanson „Ne me quitte pas“ übersetzt. Und ein offenes, im wahrsten Sinn des Wortes abgeschminktes Ende, das wieder Raum für neue Fragen lässt.

„Falsch“ ist kein Theater-Straßenfeger. Eher so etwas wie eines dieser Fernsehspiele, auf die man spätabends stößt und dran hängenbleibt. Weil die Psycho-Strukturen so exquisit seziert werden. So viel zur Frage eines Premierenbesuchers in der Reihe hinter mir an seine Begleiterin: „Und was soll uns das jetzt sagen?“

Gegenfrage 1: Was käme wohl ans Licht, wenn jemand von uns nach einem extremen Ereignis mit jemand Nahestehendem lange Zeit ohne Tür in einer klassischen „Closed Room-Situation“ säße?

Gegenfrage 2: Für wen würden wir lügen?

Weitere Aufführungen am 12., 14. und 20. April 2024 sowie am 3., 4. und 10. Mai 2024. Zwei weitere Termine auch im Juni 2024.

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