Evergreen Der „Kahn für Kant“ – ein Stück Kindheit aus Holz

Wuppertal · Der Wuppertaler Manfred Loyal hat gerade das 84. Lebensjahr vollendet und sich im hohen Alter einen besonderen Traum erfüllt, der ihn an seine ostpreußische Geburtsstadt zurückführt. Der Tischlermeister baute den Kahn nach, mit dem seine Familie einst den Fährbetrieb über den Fluss Angerapp bestritt. Er soll jetzt als Geschenk ins dortige Kant-Museum.

 Hilfreiche Hände beim Bau und beim Zu-Wasser-Lassen (v.l.): Nico Halstenbach, Timon Greiling, Manfred Loyal, Georg Pläcking, Jan-Felix Pläcking und Michael Greiling.

Hilfreiche Hände beim Bau und beim Zu-Wasser-Lassen (v.l.): Nico Halstenbach, Timon Greiling, Manfred Loyal, Georg Pläcking, Jan-Felix Pläcking und Michael Greiling.

Foto: Klaus-Günther Conrads

Kant-Museum? Ja, das gibt es in dem kleinen Ort Jutschen, aus dem Loyal stammt, tatsächlich. Immanuel Kant lebte von 1747 bis 1750 in dem 347-Einwohner-Dörfchen, das heute zur russischen Enklave Kaliningrad gehört und in weiten Teilen verfallen ist. Ausnahme: Das ehemalige Pfarrhaus, das unter Denkmalschutz gestellt wurde und als Museum und deutsch-russische Begegnungsstätte ausgebaut werden soll.

Nach Jutschen war die aus Metz stammende Familie Loyal um 1700 vor der Hugenotten-Verfolgung in Frankreich geflohen, seit 1712 betrieb sie eine Fähre auf der kleinen, fischreichen Angerapp (Aalfluss) zwischen dem Kirchdorf mit Bahnhof Jutschen und den ebenfalls litauisch klingenden Dörfern Semkuhnen und Ischdaggen. „Hol rüber!“ hieß der Auftrag zum Queren des Flusses. Im flachen Wasser wurde dabei gestakt. Passagiere waren Postboten – und eben auch Immanuel Kant, der Hauslehrer der Pfarrerskinder. In Anlehnung an den berühmten Philosophen wurde Jutschen 1938 zwischenzeitlich sogar umbenannt – in „Kanthausen“.

Für Manfred Loyal endete die Kindheit hier abrupt im Oktober 1944, als seine Familie erneut fliehen musste – vor der russischen Armee. Erst mit Pferd und Wagen Richtung Königsberg, dann mit dem Schiff nach Dänemark. Nach dreijähriger Internierung begann ein neues Leben – für Manfred Loyal mit einer Tischlerlehre im holsteinischen Eckernförde. Er setzte damit eine Tradition fort: Großvater Heinrich war Zimmermann, Vater Fritz Stellmacher.

 Manfred Loyal.

Manfred Loyal.

Foto: Klaus-Günther Conrads

1960 kam er mit seiner Frau Eveline nach Wuppertal. Seit 25 Jahren ist der frühere Betriebsleiter einer Wuppertaler Schreinerei Rentner, aber nicht untätig. Im Gegenteil. Jetzt setzte er 150 Arbeitsstunden dafür ein, eine Kindheitserinnerung wieder Gestalt annehmen zu lassen: Der Schreinermeister baute in einer Cronenberger Tischlerei den 3,80 Meter langen und einen guten Meter breiten Fährkahn seiner Familie nach.

Ein echtes Prunkstück mit kleinen baulichen Anpassungen gegenüber dem Original: Der flache Boden ist aus Hartholz, der Aufbau aus weicherem Nadelholz. An Stelle der Ostpreußischen Kiefer entschied sich Loyal für Schwarzwälder Tanne. Die zum Staken notwendige Rundstange ist aus elastischem Lärchenholz gefertigt. Der schwarze Unterbau ist nicht mit Teer getränkt, sondern mit Bootslack beschichtet. Loyal: „Teergeruch hätte im Museum gestört.“

 Manfred Loyal und Lebensgefährtin Ute Seibt lassen sich von Timon Greiling (l.) und Georg Pläcking (r.) in einem Seitenarm des Beyenburger Stausees übersetzen.

Manfred Loyal und Lebensgefährtin Ute Seibt lassen sich von Timon Greiling (l.) und Georg Pläcking (r.) in einem Seitenarm des Beyenburger Stausees übersetzen.

Foto: Klaus-Günther Conrads

Handwerkliche Unterstützung erhielt Manfred Loyal von seinen früheren Gesellen Michael Greiling, Nico Halstenbach und Georg Pläcking. Sie halfen dem rüstigen Rentner zum Beispiel beim Biegen der Spanten, weitere Mitarbeiter der Mitarbeiter der Firmen Pläcking und Pickelein packten beim häufig notwendigen Wenden des schweren Kahns an, der Gründonnerstag seinen Stapellauf am Beyenburger Stausee erlebte. Jetzt muss der Transport nach Jutschen organisiert werden, wo dieses Jahr das 14. Familientreffen des rund 60-köpfigen Loyal-Clans stattfinden soll. 25 Personen wollen dazu Pfingsten an die historische Familienstätte reisen und der Übergabe des „Kahn für Kant“ – so der Name – beiwohnen.

Für Manfred Loyal wird die Reise zu den eigenen Wurzeln ein unvergessliches Erlebnis, das er wegen der vielen Zerstörungen und der verlassenen Häuser an der Stätte seiner Kindheit allerdings nicht unbeschwert genießen kann: „Wenn ich die Gegend heute sehe, muss ich weinen …“

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