Städtisches Projekt „Lernräume“ Das improvisierte Klassenzimmer

Wuppertal · Zwischen der Ankunft in Wuppertal und dem ersten Schultag können für geflüchtete Kinder Monate liegen. Damit die Zeit dazwischen zum Lernen und Ankommen in Deutschland genutzt wird, hat die Stadtverwaltung „Lernräume“ ins Leben gerufen. Einer dieser Lernräume ist in den Gemeinderäumen der Evangelisch-methodistisches Kirche an der Eintrachtstraße. Über ein praxisnahes Konzept, das viel mehr als ein Lückenfüller ist.

 Nikita (13)  zeigt das Plakat mit seinem Lieblingsobst und den deutschen Vokabeln.

Nikita (13) zeigt das Plakat mit seinem Lieblingsobst und den deutschen Vokabeln.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Nina Bossy

Die Kinder haben Stühle und Tische zusammengeschoben, die Köpfe zusammengesteckt. Vor ihnen liegen Prospekte. Während sie mit ihren Scheren durch die dünnen Seiten um Zitronen, Äpfel und Wirsingköpfe fahren, suchen sie Wörter. Ich mag Kiwi und Apfelsinen, sagt ein Junge. Und lächelt stolz in die Kamera.

Die tuschelnden Kinder, die Lehrerinnen, die durch die Reihen schreiten, die voll beschriebene Tafel. Alles in den Raum an der Eintrachtstraße wirkt wie ein ganz normales Klassenzimmer. Dabei befindet sich eine Etage über den 20 Kindern ein Gemeindesaal mit großem Kreuz. Und ein Besprechungsraum, an dem an diesem Vormittag vier Erwachsene sitzen, um genau zu berichten, was so außergewöhnlich an diesem so normal wirkenden Schulmorgen ist.

Beate Wagner-Teckenberg und Thanushiya Uthayakumar-Amirthalingan unterrichten die 20 Kinder an der Eintrachtstraße.

Beate Wagner-Teckenberg und Thanushiya Uthayakumar-Amirthalingan unterrichten die 20 Kinder an der Eintrachtstraße.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Nina Bossy

Denn die Mädchen und Jungen in dem improvisierten Klassenzimmer kommen zwar alle aus der Wohnsiedlung im Umkreis, stammen aber größtenteils aus der Ukraine. Sie sind Kinder geflüchteter Familien, die trotz Schulpflicht keinen Schulplatz haben. Und die aber dank des Konzepts der Lernräume vor allem die neue, fremd klingende Sprache bereits vermittelt bekommen.

„Zuwanderung und Personalmangel – unsere Schulen platzen aus allen Nähten“, umreißt Siegmar Schnabel als stellvertretender Leiter des Kommunalen Integrationszentrums das große Problem, für das die Lernräume zumindest eine kurzfristige Lösung bieten. Im Schulsystem sind in diesem Schuljahr bereits 1.912 neu zugewanderte Kinder integriert. Ungefähr 250 Kinder und Jugendliche warten laut Kommunalem Integrationszentrum derzeit auf einen Schulplatz. In den drei Lernräumen in Barmen, Heckinghausen und Vohwinkel wird diese Zeit mit Hilfe von Honorarkräften überbrückt. Ein vierter Lernraum sei derzeit in Planung. Schnabel: „Mit den Lernräumen haben wir eine gute Übergangsmöglichkeit geschaffen, die den Kindern ein Ankommen ermöglicht – und den Eltern freie Zeit für die vielen Behördengänge gibt.“

 Angelika Gerlach, Siegmar Schnabel, Pastor Daniele Baglio und Arno Gerlach (v. l.) berichten stellvertretend für Gemeinde und Kommunalem Integrationszentrum über die Chance der Lernräume.

Angelika Gerlach, Siegmar Schnabel, Pastor Daniele Baglio und Arno Gerlach (v. l.) berichten stellvertretend für Gemeinde und Kommunalem Integrationszentrum über die Chance der Lernräume.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Nina Bossy

Kindern einen Ort schenken, um Sprache zu lernen und Freundschaften zu schließen – diese Idee traf bei der evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde direkt auf eine tiefe Überzeugung. „Jugendarbeit war immer ein starker Teil unserer Gemeinde“, sagt Angelika Gerlach. „Deshalb waren wir von dem Konzept sofort ganz angetan. Als christliche Gemeinschaft trifft das für uns den Kern von gesellschaftlicher Verantwortung.“

Wuppertal: Städtisches Projekt Lernräume für Flüchtlinge
Foto: Wuppertaler Rundschau/Nina Bossy

Während die Erwachsenen sprechen, haben die Kinder eine Etage tiefer immer mehr Obst- und Gemüsesorten auf Bilder geklebt. Beate Wagner-Teckenberg hat ihnen dabei geholfen, ihnen Vokabeln vorgesprochen, Buchstaben aufgemalt. Und dabei selbst einige ukrainische Wörter gelernt. „Ich bin Lehrerin im Ruhestand und wirklich gerne Teil dieses Projektes“, sagt Wagner-Teckenberg. Sie weiß, dass sich die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse nicht nur durch ihre Herkunft, sondern auch durch ihre belastenden Erfahrungen von den meisten Kindern unterscheiden. „Aber gerade weil ich ihre Geschichten kenne, bin ich froh, ihnen ihr Ankommen zu erleichtern. Sie sind so motiviert und sehnen sich nach der banalen Normalität, die jedes Kind verdient hat.“

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