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Standmixer: Zielgruppen-, hygiene- und gebrauchsgerecht

Bergische Uni Wuppertal : Zielgruppen-, hygiene- und gebrauchsgerecht

Der Industrial Designer Prof. Andreas Kalweit von der Bergischen Uni Wuppertal über die Erfindung des elektrischen Standmixers.

Malzmilch ist ein Pulver aus Gerste, Weizenmehl und Malzpulver, das mit Milch zu einem Getränk kombiniert wird und in den 20er Jahren in der Gastronomie der Vereinigten Staaten der Renner war. Dafür entwickelte der in Polen geborene US-Amerikaner Stephen Polawski 1922 ein Gerät, dass heute in vielen Haushalten vertreten ist. Worum handelt es sich dabei?

Kalweit: „Das war der Standmixer! Mir fällt dazu aber noch ein Erfinder ein. Der Ingenieur Herbert Johnston hat 1919 ebenfalls einen Standmixer erfunden, der heute unter dem Namen Kitchen Aid weltbekannt ist. Johnston stammte aus Ohio und hatte Mitleid mit den Bäckern. Die Arbeit war sehr mühevoll, denn man musste einen Brotteig mit einem Eisenlöffel kneten. 1908 erfand er bei der Hobart Manufacturing Company einen elektrischen Standmixer und entwickelt ihn 1919 für Haushalte. Es ist eher ein Rührgerät, aber in der Zeit gab es durchaus mehrere Erfinder von Geräten zum Mischen von Zutaten.“

Der Standmixer besteht aus zwei Teilen, wobei im Standfuß meist ein leistungsstarker Motor untergebracht ist. Somit lassen sich damit die leckersten Dinge zubereiten. Allerdings machen diese Maschinen bis heute einen Höllenlärm. Woran liegt das?

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Kalweit: „Zum einen am Motor, aber vor allem am Schneidmesser und dem Gefäß. Die Schneidmesser drehen sich mit einer sehr hohen Geschwindigkeit und erzeugen mit dem zu zerkleinernden Inhalt sehr laute Geräusche. Je gröber und fester die Bestandteile, umso lauter ist das Gerät. Der Gefäßkörper aus Glas ist zudem ein guter Klangkörper mit sehr geringen, schalldämpfenden Eigenschaften.“

Heute gibt es noch eine Vielzahl weiterer Messer, die zum Beispiel auch zum Zerkleinern von Eis benötigt werden. Hierbei drehen sich die Messer in die entgegengesetzte Richtung. In Zeiten von Veggiedrinks kann man praktisch alles Gesunde mixen. Dabei spielt das Design aber auch mehr und mehr eine Rolle, oder?

Kalweit: „Design hat ja viele Fassetten und heute ist sicher zum einen die zielgruppengerechte Gestaltung, aber auch die hygienegerechte und gebrauchsgerechte Gestaltung sehr wichtig. Das Design war aber schon bei dem ursprünglichen Gerät von großer Bedeutung, damit es überhaupt gut funktioniert. Der Antriebsmotor ist relativ schwer und es erscheint naheliegend, ihn in einem Standfuß zu platzieren und nicht in der Hand zu halten. Auf diesem Standfuß ruht das Gefäß mit einer Öffnung im Boden, durch die die Antriebswelle des Motors hineinragt und ein Messer antreibt.

Durch die Rotation des Messers wird der Inhalt des Gefäßes zerkleinert, aber damit sich die Masse auch gut durchmischt, befinden sich in der Gefäßwandung Vertiefungen bzw. Rillen, damit die Masse vom Rand auch wieder in die Mitte befördert wird und sich gut durchmischt. In einem runden Gefäß würde ein ineffizienter Rotationstrichter entstehen. Und damit nichts oben rausspritzt, schließt ein Deckel das Ganze ab. Somit hat das Design hier einen äußerst funktionalen Aspekt. Die schönen, runden Formen leiten sich daraus ab, dass sich die Oberflächen nach dem Mixen auch gut reinigen lassen. Rillen, spitze Ecken, Löcher oder lebensmittelungeeignete Materialien sind für die Hygiene nach den Richtlinien nicht zulässig. Allein diese Aspekte zeigen, dass der Designbegriff sehr viel weiter gefasst wurde.

Das ist besonders in der aktuellen Zeit äußerst relevant, denn wir sind umgeben von unzähligen überflüssigen Produkten, die sich dadurch rechtfertigen, wieder etwas neuer zu sein. Platt gesprochen: Der Standmixer, wie auch viele andere Produkte, wurde schon vielfach gestaltet, nur noch nicht von jedem.

Das bedeutet nicht, dass Design überflüssig ist, sondern, dass Design wichtiger denn je ist und sein wird: Produkte müssen weit über das Produkt selbst hinaus im Kontext, in dem es steht, gedacht werden. Ist das Produkt sinnvoll? Löst es ein wirkliches Problem oder erzeugt es neue? Und damit kommen wir zu dem Kern, der heute relevant ist: Was passiert, wenn das Produkt nicht mehr gebraucht wird? Was passiert mit den Materialien? Aber auch: Woher kommen die Materialien für neue Produkte?

Dies sind Aspekte, die heute mit Begriffen wie ,Cradle2Cradle‘ und ,Kreislaufwirtschaft‘ intensiv diskutiert werden. Die Gedanken sind überhaupt nicht neu. Prof. Michael Erlhoff hat schon vor einem Vierteljahrhundert ein Buch mit dem Titel herausgebracht ,Nutzen statt besitzen‘ und der Club of Rome hat vor 50 Jahren den Bericht ,Die Grenzen des Wachstums‘ veröffentlicht.

Die zentrale Frage lautet: Wie können wir die vorhandenen Ressourcen nutzen, ohne Sie zu verbrauchen? Die Antwort auf die Frage ist: Es ist eine Gestaltungsaufgabe! Das ist Design!“

Viele dieser Standmixer sind im Retrostil gebaut. Warum?

Kalweit: „Gutes Design ist in der Lage, sinnvolle Produkte zu gestalten und sich somit von weniger guten abzusetzen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Produkte umso weniger auffallen, je mehr es davon gibt. Dies kann bis zur Unkenntlichkeit von Design führen. Jeder hat sicher eine Meinung zu gutem Design und man wird feststellen, dass es viele und durchaus unterschiedliche Meinungen gibt.

Wir empfinden die heutigen Zeiten als unsicher, jedoch waren die früheren Zeiten nicht wirklich besser. Was sich aber verändert hat, ist die Gewissheit, mit der wir dem Leben begegnet sind. Die Gewissheit, was die Zukunft bereithält, war in der menschlichen Entwicklungsgeschichte in vergangenen Zeiten keine Frage… Berufe wurden über Generationen weitergegeben… dies änderte sich gravierend und in immer kürzeren Abständen seit der Industrialisierung und der Digitalisierung. Der Philosoph Hermann Lübbe hat hierzu den plastischen Begriff ,Gegenwartsschrumpfung‘ geprägt. Die Zukunft wird ungewiss, da sie näher an uns heranrückt.

Heute zeigt uns die Medienwelt mit Corona und dem furchtbaren Ukrainekrieg, wie wenig vorhersehbar die Zukunft ist. Dies war auch schon vor Corona der Fall… es ist einleuchtend, dass wir in diesen Situationen nach Sicherheit und Beständigkeit suchen. Wir finden es in Bewährtem, Beständigem, Tradiertem und in Langlebigem.

Das ist der Grund, warum es schon seit vielen Jahren einen Retro- und Vintage Style gibt. Handwerk, Manufaktur, Regionalität, Resilienz (Anpassungs- und Überlebensfähigkeit), Suffizienz (Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch), Achtsamkeit usw., sind alles Begriffe, die diesen Zeitgeist treffen.“

Polawski begann in den 30er Jahren auch Haushaltsmixer zu konstruieren. Dazu gründete er die „Stephens Electric Company“. Nach dem Verkauf seiner Firma an die „John Oster Manufacturing Company“ wurden diese Haushaltsgeräte Osterizer Blender genannt. Wann gab es denn die ersten Standmixer in Deutschland?

Kalweit: „Ich möchte mich nicht auf exakte Jahreszahlen festlegen, aber meines Wissens waren erste Hersteller in Deutschland Braun 1950 und Krups 1959 mit seinen 3-Mix. Max Braun entwickelte eine Multimix-Küchengeräte-Serie bestehend aus einem Standmixer und einer Küchenmaschine. Gerd Alfred Müller entwarf 1952 den Standmixer Multimix M 2.“

Gibt es in der hochschuleigenen Schriefers-Design-Sammlung auch ein Mixerexemplar?

Kalweit: „Ja sicher, da fällt mir sofort der Multimix von Müller und der Mixer von Braun ein.“

Power-Standmixer, Vakuum-Standmixer, Hochleistungs-Standmixer oder Mini-Standmixer, welchen Anspruch haben Sie an ein solches Highspeedgerät?

Kalweit: „Es sollte leicht zu reinigen sein und wenig Platz in der Küche wegnehmen. Und wenn es dies tut, dann bitte im Original.“