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Prozess vor Wuppertaler Landgericht zu Messerstecherei am Kipdorf

Prozess vor dem Landgericht Wuppertal : Warum kam es zu der Messerstecherei am Kipdorf?

Der Streit zwischen zwei Clan-Familien um eine Shisha-Bar soll im August 2017 bei einer Messerstecherei am Kipdorf eskaliert sein. Dort sollen vier Mitglieder der einen Familie auf zwei Brüder der anderen Familie mit Messern und Kurzschwertern eingestochen haben. Eines der beiden Opfer hatte den Angriff nicht überlebt, zwei der Täter wurden bereits zu hohen Jugendstrafen verurteilt. Die anderen beiden Täter waren in die Ukraine geflohen und müssen sich nun vor dem Landgericht verantworten.

Im Fall des tödlichen Streits im August 2017 am Kipdorf hielten die Staatsanwaltschaft und Verteidiger der beiden Angeklagten ihre Plädoyers. Größer hätten die Widersprüche kaum sein können nach Abschluss der Beweisaufnahme: Es waren nicht nur Tausende Seiten der polizeilichen Ermittler zu bewerten, sondern auch sich widersprechende Zeugenaussagen.

Bereits im mittlerweile abgeschlossenen Jugendstrafprozess, in dem die zwei jüngeren Mittäter zu hohen Jugendstrafen verurteilt wurden, hatte es Zweifel an der Wahrnehmung und der Wandelbarkeit vieler Zeugen gegeben. Die Staatsanwaltschaft hatte sich dennoch nicht beeindrucken lassen: Von der ursprünglichen Anklage, die auf ‚gemeinschaftlichen Mord’ lautete, ist sie in ihrem Plädoyer keinen Millimeter abgerückt. Dort geht man von einem Tatablauf aus, der im Kern eine gemeinsame Planung der Tat und deren Durchführung in den Raum stellte. Demnach sollen die beiden syrischen Angeklagten und die bereits verurteilten Mittäter die späteren Opfer vor einem Friseursalon am Kipdorf provoziert und mit den mitgebrachten Messern und Kurzschwertern niederzustechen haben. Ein 31 Jahre alter Angeklagter habe sich entsprechend einer Zeugenaussage hinter einem Auto versteckt, um dann heimtückisch die Opfer von hinten zu töten. Dass diese bewaffnet waren, sei nicht offensichtlich gewesen. Die Anklage forderte für beide Angeklagten lebenslange Haft wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes.

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Dass der Ablauf auch ein anderer gewesen sein könnte, versuchten die Anwälte der Opfer detailliert aufzuzeigen. Einmal sei die Vorgeschichte wichtig, weil sie eine Menge über die Handlungsweise der beteiligten Personen zu erzählen wisse. Die irakische Familie der Opfer sei bekannt für ihr rücksichtsloses Vorgehen im eigenen „Revier“, das getötete Opfer sei hingegen bekannt gewesen als Messerträger. Auch an der feindlichen Übernahme durch gefälschte Verträge und – als das nicht klappte – an der Zerstörung der Shisha-Bar der ehemals befreundeten Familie sei der Getötete maßgeblich beteiligt gewesen. Dies habe das Verhältnis vergiftet. Zwischenzeitlich habe es wohl eine Einigung gegeben, so behauptete die Opferfamilie – davon sei der Familie der Beklagten aber nichts bekannt. Die beiden Angeklagten hingegen, 25 und 31 Jahre alt, seien noch nie polizeilich aufgefallen. Sie hätten sich aus Clan-Streitereien herausgehalten und führten nach ihrer Flucht aus Syrien ein geregeltes Leben.

Bereits der erste Kontakt im Friseursalon sei provokant von der Opferseite, und aus Sicht der Verteidiger eine Machtdemonstration gewesen: Das Opfer habe ein Messer gezeigt. Eine Zeugin wurde so zitiert: “Wenn H. (das spätere Opfer) ein Messer zeigt, nutzt er es auch!“

Ein zuvor ausgesprochenes Hausverbot des Friseurs sei von den Störenfrieden ignoriert worden. Dann seine Bitte an die Angeklagten, des lieben Friedens willen zu gehen – was die auch getan hätten. Der darauffolgende Besuch bei Verwandten in der Nachbarschaft sei aber jäh unterbrochen worden, als ein weiterer Bruder in der Hofeinfahrt vor dem Salon erneut in eine Streiterei verwickelt worden sei. Die Angeklagten hätten ihm zu Hilfe eilen wollen, dabei sei der 25-Jährige vom späteren Opfer in den Schwitzkasten genommen worden und habe sich mit einem Messerstich ins Knie befreien wollen. Der Ältere, sein Schwager, habe sich den Weg zu ihm und dem jüngeren Bruder freimachen wollen und dabei das andere Opfer in die Schulter gestochen. Die Entfernung zwischen beiden Opfern sei mit mehreren Metern viel zu groß gewesen – der des Mordes beschuldigte sei zudem Linkshänder, dem widersprächen Stichkanal und Stoßrichtung der tödlichen Verletzung, die die Aorta getroffen habe.

Den ersten – unbestrittenen – Messerstich habe eine neutrale Zeugin gesehen. Von zwei Messerstiche unmittelbar hintereinander habe nur ein Zeuge gesprochen, der sich anderweitig beim Tatablauf in Widersprüche verwickelt und vermutlich keine freie Sicht gehabt habe.

Befremden hätten auch die Aktionen der Opferfamilie nach der Tat ausgelöst, mit denen nicht nur Angeklagte und Zeugen bedroht worden seien. Mit einer unzulässigen Auslobung einer hohen Belohnung sei zu Selbstjustiz aufgerufen worden. Auch der nicht genehmigte Trauerzug am Kreisel in Kipdorf sei noch gut in Erinnerung, ebenso ein Polizeieinsatz im Krankenhaus.

Die Flucht der Angeklagten, die in der Ukraine geendet hatte, habe ihren Grund in der Angst vor der Rache der Opferfamilie gehabt. Selbst in der Auslieferungshaft seien sie bedroht worden. Die unbestritten gefährliche Körperverletzung sei unter diesen Umständen mit einer Strafe von unter drei Jahren ausreichend gesühnt, so die Verteidiger. Der tödliche Stich sei hingegen nicht zweifelsfrei aufzuklären und könne den Angeklagten nicht angelastet werden. Am 13. Februar soll das Urteil verkündet werden.