Luftangriff auf den Wuppertaler Osten Tagebuch eines Zeitzeugen

Wuppertal · Am 13. März 2020 jährt sich zum 75. Mal der Jahrestag des Luftangriffs auf die Wuppertaler Ortsteile Oberbarmen, Heckinghausen und Langerfeld. Hans-Joachim Ossé hat die Bombardierung seines Stadtteils Oberbarmen durch die alliierten Luftstreitkräfte miterlebt und die Zerstörung der Pfarrkirche St. Johann Baptist auf der Grundlage seiner Tagesbuchaufzeichnungen von 1945, damals war er zehn Jahre alt, dokumentiert.

 Blick von der Berliner Straße auf die zerstörte Kirche.

Blick von der Berliner Straße auf die zerstörte Kirche.

Foto: Pfarrarchiv St. Johann Baptist

„Es war Dienstag, der 13. März 1945. Zwischen 15.40 Uhr und 16.20 Uhr hatten 344 Bomber der alliierten Luftstreitkräfte 3600 Spreng- und 140000 Brandbomben auf die Ortsteile Langerfeld, Heckinghausen und Rittershausen (Oberbarmen) abgeworfen. Das Ausmaß der Zerstörungen war beträchtlich. Viele Menschen im Osten der Stadt kamen dabei ums Leben.

Über den Osten Barmens breitete sich eine Feuersglut aus. So hatten auch die in der Nähe unserer Pfarrkirche St. Johann Baptist in der Normannenstraße nieder gegangenen Bomben die Fenster der Kirche mit ihrem Maßwerk zerstört und richteten in der Kirche große Verwüstungen an. Die Feuersglut und der Funkenflug aus den umliegenden Häusern griffen dann in den späten Abendstunden auch auf die 5 Türme und das Dach der Kirche über, wobei auch die Orgel ein Raub der Flammen wurde. Pfarrer Wilhelm Weidmann informierte die Gemeinde am folgenden Sonntag – es war der Passionssonntag – über den Verlust unseres Gotteshauses und ergänzte: „ Möge das Unglück alle Glieder unserer Pfarrfamilie inniger zu einer heiligen Gemeinschaft in Christus verbinden. Möge Gottes Gnade alle Trauernden trösten, wo Menschentrost versagt.“

Wo aber konnten wir uns als Gemeinde zu den Gottesdiensten versammeln ? Das war unsere sorgenvolle Frage. In dieser Notlage kam uns spontan die Evangelische Kirchengemeinde Wichlinghausen, deren Gotteshaus unbeschädigt im nicht zerstörten Ortsteil Wichlinghausen geblieben war, zu Hilfe. Schon am darauf folgenden Sonntag – es war der Palmsonntag, konnten wir Oberbarmer Katholiken morgens um 6.00 Uhr und abends um 18.30 Uhr in der Wichlinghauser Kirche die Eucharistie feiern. Bis weit in den Sommer hinein (bis zum 8. Juli 1945) durften wir die geschwisterliche Hilfe erfahren. Ein schon damals denkwürdiges Beispiel gelebter Oekumene !

 Blick von der Straße Krühbusch.

Blick von der Straße Krühbusch.

Foto: Pfarrarchiv St. Johann Baptist

Für uns Messdiener waren diese Ereignisse auch mit Spannung gefüllt. Sonntag für Sonntag, bei jeder Wetterlage, hieß es: In der Frühe spätestens um 4.45 Uhr aufstehen. Um 5.10 Uhr begannen die Vorbereitungen in der nicht zerstörten Sakristei unserer Pfarrkirche. In zwei (manchmal drei) große Wäschekörbe wurde das gelegt, was für den Gottesdienst notwendig war: Die liturgischen Gewänder für die Priester und die Messdiener, Kelche, die Opfergaben wie Hostien und der Messwein, Altartücher, Kerzen für den Altar, Blumenschmuck, die liturgischen Bücher wie das Messbuch und die biblischen Lesungen, die Kollektenkörbchen und nicht zuletzt das Buch (Proclamandum) für die wöchentlichen Verkündigungen und Mitteilungen.

 Blick über die Rittershauser Brücke mit Wagenhalle der Schwebebahn auf die Kirche.

Blick über die Rittershauser Brücke mit Wagenhalle der Schwebebahn auf die Kirche.

Foto: Pfarrarchiv St. Johann Baptist

Mit all dieser notwendigen Ausstattung zogen wir dann gegen 5.20 Uhr von der Sakristei in der Normannenstraße, immer den Anblick der zerstörten Kirche vor Augen, über den Weg durch die nördlich der Kirche gelegene Gartensiedlung (heute Max-Planck-Straße und Schulzentrum-Ost), überquerten am Wichlinghauser Bahnhof die Brücke zur Freiheitstraße, und von dort ging es weiter durch die Görlitzer Straße – Wichlinghauser Straße, bis wir den Wichlinghauser Markt erreichten und in die Westkotter Straße einbogen. Dort begrüßte uns – soweit das in den letzten Kriegswochen erlaubt war - das Glockengeläut der Wichlinghauser Kirche, wofür wir dem Küster der evangelischen Gemeinde sehr dankbar waren, zumal auch er früher als sonst üblich seinen Dienst für uns katholische Christen begonnen hatte. Nur auf eines mussten wir - aus welchen Gründen auch immer - verzichten: den Gebrauch von Weihrauch. Das war für die erprobten Weihrauchfaß schwenkenden Messdiener ein großes Opfer. Wie gerne hätten sie schon unterwegs in den Straßen von Wichlinghausen den Weihrauchduft verbreitet. Bei all dem durften wir aber nicht vergessen, dass der Krieg noch nicht zu Ende war. Es sollten noch knapp vier Wochen vergehen, bis amerikanische Truppen Wuppertal besetzten. Das hieß, wir mussten zu jeder Zeit mit Fliegeralarm und überfliegenden Bombern rechnen, vor allem mit dem unberechenbaren Tieffliegerbeschuss. Aber wir lebten mit der Hoffnung auf Gottes Schutz und Hilfe und wurden auch in den letzten Kriegswochen nicht enttäuscht. Die beiden sonntäglichen katholischen Messfeiern in der evangelischen Kirche Wichlinghausen besuchten viele hunderte katholische Christen. Dafür, dass die Evangelische Gemeinde Wichlinghausen in diesen unruhigen und schweren Wochen und Monaten für uns ihr Gotteshaus geöffnet hatte, damit wir dort die Gegenwart Christi in der Eucharistie feiern und erfahren konnten, sei auch heute noch Dank gesagt.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort