Kerstin Holzmann (Kinderschutzbund) „Kinder werden viel zu wenig mitgedacht“

Wuppertal · Seit 49 Jahren gibt der Kinderschutzbund Minderjährigen in unserer Stadt eine Lobby. Geschäftsführerin Kerstin Holzmann sprach mit Rundschau-Redakteurin Nina Bossy über wachsende Herausforderungen – und eine Politik, die Kinder mehr in den Blick nimmt.

Kinderschutzbund-Geschäftsführerin Kerstin Holzmann.

Kinderschutzbund-Geschäftsführerin Kerstin Holzmann.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Simone Bahrmann

Rundschau: Frau Holzmann, als Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes: Wovor müssen Kinder heute geschützt werden?

Holzmann: „Das Ziel des Kinderschutzbundes ist es anzusetzen, bevor Kinder Schutz benötigen. Wir arbeiten präventiv und möchten Familien unterstützen, damit Kinder in unserer Stadt gut aufwachsen, ihre Rechte kennen und diese deshalb auch gewahrt bleiben.“

Rundschau: Kinderrechte, das ist ein wichtiges Thema. Sie sprechen davon, Kindern eine Lobby geben zu wollen, nehmen also auch durchaus eine politische Stellung ein. Wann und wo wurden denn die Rechte der Kinder in unserer Stadt übergangen?

Holzmann: „Die Corona-Politik war eine Aneinanderreihung an Kinderrechtsverletzungen. Die Umstellung auf digitalen Unterricht hat nicht flächendeckend geklappt. Da saßen Kinder alleine zu Hause, eben ohne funktionierenden Laptop, ohne Web-Kamera. Dabei hat jedes Kind ein Recht auf Bildung. Und auch das Recht auf Freizeit und Erholung wurde enorm beschnitten. Das ist nun einmal passiert, zu Beginn gab es ja auch nur sehr wenig Wissen über dieses Virus. Aber es darf sich nun nicht wiederholen.“

Rundschau: Das bedeutet, dass die Interessen der Kinder bei politischen Entschlüssen konsequent mitgedacht werden müssten. Inwieweit gelingt das derzeit unseren politisch Verantwortlichen bei kommunalen Entscheidungen?

Holzmann: „Ich finde, in Wuppertal werden Kinder viel zu wenig mitgedacht. Wir haben mit der Stadtverwaltung das gemeinsame Projekt der Spielplatzpaten, bei dem Eltern oder andere Ehrenamtliche sich um einen anliegenden Spielplatz mitkümmern. Das funktioniert gut. Aber bei den allermeisten anderen Entscheidungen haben junge Menschen überhaupt kein Stimmrecht, im wahrsten Sinne. Der Jugendrat hört zwar zu, darf aber nicht mitabstimmen. Das Argument gegen ein Stimmrecht des Rates ist, dass die Stimmberechtigten über 18 Jahre alt sein müssen. Aber man könnte ja volljährige Mitglieder stellvertretend stimmen lassen, das wäre machbar. In anderen Städten gelingt diese echte Partizipation durch den Jugendrat.“

Rundschau: Apropos Spielplätze: Wie werden Kinder im öffentlichen Raum bedacht? Ich weiß, dass sich viele Familien einen Wasserspielplatz wünschen. Immerhin gibt es auf dem neugestalteten Von der Heydt-Platz ein Wasserelement.

Holzmann: „Ja, genau. Das kommt auch sehr gut an. Aber bis auf dieses Wasserspiel wurden alle anderen Spielelemente sukzessive aus der Elberfelder Innenstadt verbannt. Auf der Herzogstraße gab es ein Klettergerüst und Wackeltiere, direkt vor den Räumen des Kinderschutzbundes gab es eine Spielrolle – die sind abmontiert worden. Das Argument lautet dann, es hätte Vandalismus gegeben, den ich selbst noch nie erlebt habe. Im Gegenteil: Ich erinnere mich, wie viele Kinder diese Orte besucht und genutzt haben. Und ein Wasserspielplatz, das wäre wirklich super. In anderen Städten, die auch wenig Geld haben, gibt es die. Es ist eine Frage der Priorisierung.“

Rundschau: Eine wichtige Säule des Kinderschutzbundes sind die Ehrenamtlichen, die in Projekten Kinder und Familien begleiten, aber auch in den drei Kleiderläden bedienen und beraten. Gibt es derzeit genug Menschen, die sich beim Kinderschutzbund ehrenamtlich engagieren?

Holzmann: „Nein, denn viele dieser helfenden Hände sind während der Pandemie weggebrochen. Wir haben 100 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren – es sind nur noch 140 Menschen übrig geblieben. Die Konsequenz ist, dass wir die Öffnungszeiten der Kleiderläden stark einschränken müssen. Und das ist fatal, denn die Kleiderläden sind ein wichtiges Standbein, mit dem wir auch unsere Arbeit finanzieren.“

Rundschau: Ihr Gesamteindruck: Wie ist es um Kinder und deren Familien in unserer Stadt bestellt?

Holzmann: „Der Blick in diesen Herbst und Winter bereitet mir wirklich Sorge. Es wird Familien der Boden unter den Füßen weggerissen. Die Menschen, die von Hartz IV mit Kindern leben, oder erwerbstätig sind und knapp über dem Satz liegen, werden sich ihr bisheriges Leben nicht mehr leisten können. Das verschärft die Lebensbedingungen für Kinder enorm. Wenn es uns politisch gelingen würde, Kinderrechtsverletzungen in schwierigen, aber auch leichteren Zeiten zu vermeiden, wäre das übrigens eine ganz andere Welt. Politisch gesprochen: Und wir würden als Gesellschaft so viel Geld sparen.“

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