Interview mit Schulpfarrerin „Das Klima hat sich verändert“

Wuppertal · Corona stellt für die Schulen eine große Herausforderung dar. Und wirft für die Schülerinnen und Schüler wichtige Lebensfragen auf. Ein Gespräch mit Schulpfarrerin Petra Wassill.

 Schulpfarrerin Petra Wassill.

Schulpfarrerin Petra Wassill.

Foto: Berufskolleg

Was hat sich bei Ihnen am Berufskolleg Werther Brücke durch Corona verändert?

Wassill: „Corona hält uns ganz schön in Atem und erschwert den Schulalltag sehr. Neben vielen organisatorischen Überlegungen, die viel Flexibilität von allen abverlangen, sind es natürlich die Mund-Nasen-Schutzmasken, die uns das entspannte Durchatmen und arbeiten in den Schulen erschweren. Sechs bis acht Stunden mit Maske zu unterrichten fällt Schülern und Lehrern schwer. Einander akustisch zu verstehen ist herausfordernd. Zu große Lerngruppen für zu kleine Räume, die sich oftmals schlecht belüften lassen. Akribisch geführte Sitzpläne, Desinfizierung von Tischen in den Pausen, Abstand halten, Einbahnstraßensysteme in Schulgebäuden - all das trägt im Augenblick nicht dazu bei, dass Schule ein angenehmer Lebensort ist. Oft werden neue Corona-Regeln erst spät von Seiten der Bezirksregierung an die Schulen weitergegeben, so dass Schulleitungen und Kollegien unter einem großen Druck stehen, all die Verordnungen in der eigenen Schule sinnvoll umzusetzen. Aber manchmal entstehen auch ganz kreative Lösungen wie zum Beispiel Freiluftkonferenzen zu Beginn des Schuljahres auf dem Schulhof. Sorgen bereiten uns natürlich die steigenden Infektionszahlen und wir bereiten alles digital vor, sollte es wieder zu einer Situation kommen, in der wir den Unterricht ganz oder teilweise online gestalten müssen. Zum Glück hat die Stadt Wuppertal mittlerweile entsprechende Online-Plattformen für Schulen eingerichtet. Für die Nutzung laufen jetzt parallel die Fortbildungen, die natürlich auch noch on top kommen zum eh schon herausfordernden Schulalltag in Corona-Zeiten.“

Wie ist die Stimmung?

Wassill: „Das Klima untereinander hat sich verändert. Durch den Abstand und die Masken entsteht viel mehr Distanz zwischen uns. Es ist unheimlich schwer, die Schüler zu motivieren, unkompliziert zu kommunizieren und den Kontakt zu ihnen zu halten. Außerdem müssen wir auch viel reglementieren und immer wieder auf die von allen einzuhaltenden Sicherheitsvorkehrungen hinweisen. Das ist eine schwierige Rolle für Lehrer und Lehrerinnen.“

Was hat das Homeschooling mit den Schülern gemacht?

Wassill: „Das ist ganz unterschiedlich. Einige Schüler kamen gut klar, konnten sich selbst organisieren und habe neue Freiräume für sich entdeckt. Andere sind regelrecht versackt – ohne geeignete elektronische Endgeräte und ohne die für Homeschooling notwendige Disziplin. Einige Schüler aus den so genannten ausbildungsvorbereitenden Klassen sind gar nicht erst wieder aufgetaucht. Ich vermute, dass wir rund ein Drittel der eher schwachen Schüler verloren haben. An diese Schüler werden wir auch nicht mehr rankommen, sie haben neue Handynummern oder Anschriften und sind für uns regelrecht verschwunden. Das ist natürlich hart festzustellen und traurig zu wissen, dass da Lebenschancen nicht ergriffen werden können und Biografien keinen guten Verlauf nehmen werden. Von Bildungsgerechtigkeit sind wir leider nach wie vor weit entfernt.“

Ist der Bedarf an Seelsorge dementsprechend groß?

Wassill: „Unter den Kollegen auf alle Fälle. Durch die insgesamt belastende Situation ist der Bedarf sehr groß. Viele von ihnen gehören außerdem zur Risikogruppe und haben Angst vor den engen Klassenräumen und einer möglichen Infektion. Als Seelsorgerin bin ich natürlich Ansprechpartnerin und führe viele Gespräche zwischen Tür und Angel, den Gängen der Schule und natürlich im Lehrerzimmer. Viele Schüler sind eher genervt von Corona und den damit verbundenen Einschränkungen für ihr Leben und halten das Virus für eine große Verschwörungstheorie. Andere Schüler, wie zum Beispiel Auszubildende aus dem Einzelhandel, der Pflege und den Kitas haben natürlich in den letzten Monaten ziemlich viel mitmachen müssen. Die Frage ,Wie kann ich mit einer Krise gut umgehen?‘ ist für die jungen Leute sehr wichtig geworden. Hier braucht es viel Hilfestellung, Information und Orientierung, um solch schwierige Situationen gut zu bewältigen. Das Berufskolleg Kohlstraße widmet sich diesen Themen zum Beispiel in einem eigenen Schulprojekt.“

Gibt es auch positive Erfahrungen?

Wassill: „Die Familien, Freunde und Nachbarn sind enger zusammengerückt. Das auf alle Fälle. Außerdem machen sich die Schüler verstärkt Gedanken darüber, was ihnen wirklich wichtig ist: Fragen nach dem Sinn im Leben und wie ich meine Lebenszeit verbringen möchte, wieviel oder wie wenig Konsum uns allen gut tut werden zunehmend lauter. Viele beginnen zu verstehen, dass wir füreinander mehr Verantwortung übernehmen müssen und sorgsamer mit Mutter Erde umgehen sollten. Corona macht irgendwie fragender, nachdenklicher und wirft wichtige Lebensfragen auf, die sich lohnen im Religionsunterricht zu besprechen.“

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