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Wuppertalerin Mila Kuhn: Tafeldienst – eine Mutter wechselt die Seiten

Wuppertalerin Mila Kuhn : Quereinstieg ins Lehramt: „Ich war kurz davor hinzuschmeißen“

Als Quereinsteigerin in einer Grundschule unterrichten. Darauf ließ sich Mila Kuhn für einige Monate ein. Ein radikaler Perspektivwechsel für die Journalistin. Ihre Erfahrungen hat die Wuppertalerin in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Tafeldienst – eine Mutter wechselt die Seiten“ auf humorvolle Weise festgehalten. Rundschau-Redakteurin Milka Vidovic sprach mit der Autorin über ihre Erlebnisse.

Rundschau: Frau Kuhn, warum der Quereinstieg? 

Kuhn: „Eigentlich bin ich Journalistin. Fast 20 Jahre lang schrieb ich schwerpunktmäßig über die Themen Kindererziehung und Schule. Als aber mein wichtigster Auftraggeber schloss, brach das einigermaßen sichere Einkommen weg. Eine Freundin erzählte mir dann, dass es die Möglichkeit gibt, auch ohne Lehramtsstudium eine Stelle als Lehrerin zu bekommen, sofern es sich um eine befristete Vertretungsstelle handelt. Ich konnte kaum glauben, dass das möglich sein sollte. Aber ich dachte, dass es spannend wäre, einmal ganz praktisch mit Kindern zu arbeiten, nachdem ich jahrelang über Kinderentwicklung geschrieben hatte. Ich bewarb mich also und bekam zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich eine Stelle. Es war eine Grundschule bei Wuppertal.“

Rundschau: Wie war Ihr erster Tag?

Kuhn: „Ich gestehe, ich war kurz davor, alles wieder hinzuschmeißen. Ich hatte das mit der Durchsetzung in der Klasse, sagen wir, leicht unterschätzt. Ich dachte, Grundschulkinder ließen sich doch sicher noch recht gut handeln. Aber um Wissen zu vermitteln, muss man in der Klasse erstmal einen Fuß auf die Erde kriegen. Und natürlich fehlte mir auch das didaktische Wissen, auch wenn ich Germanistik studiert habe. Es dauerte Wochen, bis ich mich im Klassenzimmer nicht mehr fühlte, als hätte ich aus Versehen die falsche Tür geöffnet und wäre mitten in einem Theaterstück auf die Bühne gestolpert. Ich hatte immer mindestens fünf Blätter in den nassgeschwitzten Händen zum geplanten Ablauf meines Unterrichts und mit Dingen, die ich nicht vergessen durfte – eine Art Road Map, an der ich mich durch den Vormittag hangelte. Später habe ich außerdem mein ,System Elfmeter’ eingeführt mit gelben und roten Karten für Störer und entsprechenden Konsequenzen. Ab da wurde es mit der Durchsetzung viel besser. Nie habe ich jedenfalls in so kurzer Zeit so viel gelernt wie bei diesem Sprung ins kalte Wasser. Ich unterrichtete Deutsch, Mathematik und Sachkunde, hatte zeitweise eine feste Klasse, war aber auch Springerin.“

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Rundschau: Sie sprechen von einer enormen Belastung. Sprechen Sie damit den herrschenden Lehrermangel an?

Kuhn: „Der Lehrermangel ist weiterhin gravierend, auch wenn schon einiges getan wird. Das sieht man alleine daran, dass man mich ohne Lehramtsausbildung eingestellt hat. Der Bedarf ist so hoch, dass verzweifelte Schulleiter Menschen anheuern, die seit ihrer Kindheit kein Klassenzimmer mehr von innen gesehen haben. Aber es ist nicht nur das: Die Klassen sind heute, unter anderem auch wegen des so genannten gemeinsamen Lernens (Inklusion), extrem heterogen. Eine einzelne Person allein kann sich kaum ausreichend um Förderkinder, um Kinder mit wenigen Deutschkenntnissen, um Kinder mit Rechenschwäche usw. kümmern, das gilt auch für gestandene Lehrkräfte. Es müsste hier eigentlich immer mindestens ein Sozial- oder Sonderpädagoge mit im Unterricht sein, aber das ist nur selten der Fall.

Rundschau: Was fiel Ihnen zu Beginn des Jobs schwer?

Kuhn: „Das Schwerste war, alles gleichzeitig zu schaffen: Ich musste mich durchsetzen, meinen Unterrichtsplan umsetzen, durfte nicht zu wenig und nicht zu viel Stoff vorbereiten, musste auf alle Kinder, die Hilfe brauchten, eingehen, ohne dass es an den anderen Tischen schon wieder laut wurde. Ich kann mich aber nicht beliebig duplizieren. Die Vorbereitung des Unterrichts dauerte bei mir als Anfängerin natürlich auch sehr lang, ich saß nicht nur jeden Nachmittag viele Stunden am Schreibtisch, sondern auch noch am Wochenende – ganz schön viel Ganztag für einen Halbtagsjob.

In Ermangelung einer pädagogischen Ausbildung habe ich auch lernen müssen, der Intuition zu vertrauen, die ich als Mutter zweier Kinder erworben habe. Man muss ja in schwierigen Situationen schnell reagieren. Eine Klasse besitzt eine gewisse Schwarm- intelligenz und nutzt natürlich jede Gelegenheit aus, um die ,Neue’ zu testen. Ich brauchte viel Mutterwitz und auch ein bisschen Tücke, um die jungen Aufmüpfe zu bändigen. Erst dann konnte ich endlich so unterrichten, wie ich es mir vorgestellt hatte: mit Kreativität und Humor. Zum Beispiel haben wir einmal, als die Kids müde waren und nichts mehr ging, einfach Michael Jacksons ,Moonwalk’ geübt, weil wir zuvor ein Referat zu dem Musiker gehört hatten. So etwas haben die Kids natürlich geliebt.

Rundschau: Haben Ihnen die „richtigen“ Lehrerinnen und Lehrer zur Seite gestanden?

Kuhn: „Ja, von den meisten bin ich gut unterstützt worden, obwohl sie wenig Zeit hatten und selbst überlastet waren. Gerade von den älteren Kolleginnen bekam ich manchmal sehr pragmatische Tipps, die wirklich halfen. Es gab aber auch ein, zwei Kolleginnen, die mir zu verstehen gaben, dass sie nichts von Quereinsteigern ohne Ausbildung hielten. Als Quereinsteigerin ist man eben der Notstopfen beziehungsweise das Lehrer-Double, das sich eigentlich niemand wünscht. Kann ich natürlich auch verstehen.

Rundschau: Würden Sie den Job noch mal machen?

Kuhn: „Zu unterrichten war eine tolle Erfahrung, und ich will das nicht ausschließen. Aber die psychische Belastung ist doch enorm hoch. Ich hatte unter anderem Kinder mit Förderbedarf, Migrationskinder, lernbehinderte und Kinder mit sehr aggressivem Verhalten in der Klasse. Man muss auf jedes einzelne eingehen, aber zugleich auch die Gruppe als Ganzes im Auge behalten, denn wenn man mal eine Sekunde zu spät reagiert, fällt einem die ganze Klasse auseinander. Ich bewundere Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Job über viele Jahre und mit ungebrochenem Elan schaffen, wirklich sehr. Sie sind für mich die wahren ,High Performer’ in unserer Gesellschaft.“

Rundschau: Ihre persönliche Bilanz?

Kuhn: „Die Realität des Schulalltags ließ mich zwar oft ziemlich sprachlos zurück, dennoch mochte ich alle Kinder: die Braven, die Aufmüpfigen, die Pflegeleichten und auch diejenigen, die mir den letzten Nerv raubten. Das war für mich eigentlich die schönste und wichtigste Erfahrung dieser Zeit.“