Gestiegene Zahl an Anrufen Telefonseelsorge: Die Angst vor dem Krieg

Wuppertal · Mit der Invasion der russischen Armee in die Ukraine sind auch die Anrufzahlen bei der Telefonseelsorge Wuppertal angestiegen, berichtet Leiterin Jula Heckel-Korsten. In Wuppertal wurden seit Jahresanfang insgesamt rund 3.000 Gespräche geführt.

 Pfarrerin Jula Heckel-Korsten ist Leiterin der Wuppertaler Telefonseelsorge.

Pfarrerin Jula Heckel-Korsten ist Leiterin der Wuppertaler Telefonseelsorge.

Foto: Tim Polick

„Das Thema Ukrainekrieg wurde in über 20 Prozent der Gesprächen angesprochen. Meist in dem Sinne, dass die Auswirkung auf das eigene Befinden benannt wurde. Die Anrufenden sprachen über ihr Entsetzen und ihre Ängste“, so die Pfarrerin.

Es ging auch um das eigene Wertesystem, das erschüttert worden war: „Das Erschrecken darüber, dass der Krieg in Europa Wirklichkeit werden konnte, ist bei den Anrufenden groß.“ Auch das Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine wurde Thema und das hält auch noch an. Damit verbunden äußern viele Anruferinnen und Anrufer ein Gefühl der Ohnmacht und Resignation: „Ich kann nichts machen …!“ Damit verbunden stieg der Anteil der Menschen, die von depressiver Stimmungslage sprachen und sprechen (von 20 auf 27 Prozent zwischen Februar und März).

Die Menschen, die schon immer unter Ängsten litten, leiden nun verstärkt. So gab es mehr Anrufe von Menschen, die unter Panikattacken litten. Auch der Anteil der Anrufenden, die eine psychiatrische Diagnose nannten, stieg von 30 auf über 40 Prozent. Inzwischen ist das Thema Krieg in den Telefongesprächen auf 12 Prozent zurückgegangen. Als die Information über die Atomsprengköpfe durch die Medien ging, gab es noch einmal einen sprunghaften Anstieg, danach ging es wieder zurück.

Sehnsucht nach alltäglichem Leben

„Es gehört zu unseren Fähigkeiten, dass wir uns auch an Schrecken .gewöhnen‘ können. Nach der Pandemie, die viele Anrufende bereits gebeutelt hat, führt der Schrecken über den so nahen Krieg und die Angst, dass die Nato hineingezogen werden könnte, zu einer anhaltenden Dünnhäutigkeit. Anrufende äußern: ,Ich hatte so sehr gehofft, dass das Leben wieder normal werden würde. Und nun haben wir auch noch Krieg …!‘ Dahinter höre ich eine starke Sehnsucht nach dem ,ganz normalen‘, alltäglichen Leben", sagt die Leiterin der Telefonseelsorge.

Sie gibt wie alle Telefonseelsorgerinnen und -seelsorger am Seelsorgetelefon nur Rat, wenn jemand ausdrücklich darum bittet. In solchen Fällen rät sie dazu, den Nachrichtenkonsum einzuschränken: „Entscheiden Sie bewusst, wann Sie Nachrichten über den Krieg konsumieren. Prüfen Sie, ob Sie einmal am Tag eine gute Informationssendung sehen oder hören können und dann erst wieder am nächsten Tag. Auch das Anzünden einer Kerze für die vom Krieg betroffenen Menschen und das Sprechen eines Gebets kann dazu gehören. Das vermindert die Gefühle der Ohnmacht und darin liegt nach meiner Überzeugung auch eine Kraft, die wirkt.“

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