Kommentar Wo soll das eigentlich hinführen?

Wuppertal · So – jetzt sind wir in Wuppertal also auch ein Corona-Hotspot. Und müssen damit rechnen, dass wir Wuppertaler, wenn wir während der Herbstferien Urlaub anderswo in Deutschland machen möchten, am ausgewählten Zielort nicht hineingelassen werden. Das gilt aber (natürlich) nicht in allen Bundesländern, denn allüberall in Deutschland wird streckenweise komplett anders mit dem Thema umgegangen.

 Stefan Seitz.

Stefan Seitz.

Foto: Bettina Osswald

Wozu das bei den Menschen führt? Verunsicherung, Verärgerung, Unverständnis – und Zorn. Der Flickenteppich erinnert mich ans Mittelalter (dessen Geschichte ich mal studiert habe), wo jeder Regionalfürst seine eigenen Regeln und Gesetze erlassen konnte – und natürlich auch erlassen hat.

Der Umgang mit steigenden Corona-Infektionszahlen, denen allerdings offenbar keine nennenswert gestiegenen Erkranktenzahlen gegenüberstehen, führt zu einem Maßnahmen-Wirrwarr, das von Bundesland zu Bundesland und innerhalb der Bundesländer von Stadt zu Stadt ganz unterschiedlich ausfallen kann.

In Wuppertal beispielsweise heißt es auf der Stadt-Homepage www.wuppertal.de, dass unsere Stadt bei den jetzt geltenden Einschränkungen für private Treffen und/oder Feierlichkeiten über die Vorschriften des Landes NRW hinausgeht. Wieder ein Stück Verunsicherung: Worauf kann man sich als Bürger verlassen? Was gilt? Und wo kann man sich verlässlich informieren?

Am gesamten Donnerstagnachmittag (die Pressekonferenz des Krisenstabes mit den neu verkündeten Einschränkungen fand um 15 Uhr statt) bis in den Abend hinein war es auf der Stadt-Homepage ausgesprochen schwierig bis unmöglich, eine verlässliche und verständliche Darstellung dessen zu finden, was nun gelten soll. Wozu das bei den Menschen führt? Verunsicherung, Verärgerung, Unverständnis – und Zorn.

Die offenen Fragen, die sich nun beispielsweise die gerade wieder halbwegs (aber auch wirklich nur halbwegs) wieder in die Spur gekommene Gastronomie-Branche stellt, sind riesig. Ähnliches gilt für alle Arten von Veranstaltern, die beispielsweise schon Tickets im Vorverkauf unter die Leute gebracht haben. Wenn sie jetzt Zuschauerzahlen reduzieren müssen: Wer wählt aus, wer kommen darf? Wer ersetzt den Veranstaltern den Verlust?

Wie sollen eine Menge wirtschaftlich relevanter Bereiche planen können, wenn es eine immer wieder rasante Berg- und Talfahrt von Maßnahmen wegen der 35er-Inzidenz, dann zur 50er-Inzidenz sowie später, wenn’s vielleicht wieder besser läuft, das Kommando „Alles zurück!“ gibt?

In Wuppertal sollen die neuerlichen Ansteckungen bei einer Oberstufen-Party in einer Garage, bei zwei Groß-Hochzeiten, in einer Großwäscherei und in einem Gemüsegroßhandel passiert sein. Ein bunter Querschnitt des Privat- und Arbeitslebens einer ganz normalen Stadt. Kann man das auf Dauer immer wieder eindämmen, wenn bestimmte Zahlen, auf die alle starren, steigen? Ich bezweifle das sehr.

Immer mehr Städte in Deutschland werden angesichts der Inzidenz-Zahl von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohnern zu Corona-Hotspots. Wo soll das eigentlich hinführen? Zum Komplett-Risikogebiet Deutschland? In einen zweiten Lockdown? Den, denke ich, kann Deutschland (sich) nicht leisten.

In diesen Zeiten der Nicht-Verlässlichkeit geht mir persönlich immer öfter eines durch den Kopf: Die wahre Seuche unserer Zeit sind Rechtsextremismus, fremdenfeindlicher Rassismus, Judenhass & Co. Der Anschlag in Halle war gestern vor einem Jahr – und in Wuppertal wird der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh aufs Widerwärtigste beleidigt sowie mit dem Tode bedroht.

Nur zehn Prozent der Aufmerksamkeit, die Corona zurzeit auf sich zieht, für den Kampf gegen die Hass-Seuche, und wir hätten ein anderes Land. Ein besseres.

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