Theaterpremiere Gestrandet in der Endstation Sehnsucht

Wuppertal · Polieren Sie noch mal schnell Ihr Einhorn, frischen Sie Ihr Popkulturwissen auf und dann ab ins Theater! Martin Kindervater inszeniert Tennessee Williams' Klassiker "Die Glasmenagerie" im Theater am Engelsgarten als wehmütiges Kammerspiel.

 Mutter Amanda (Julia Wolff) lässt ihren Scarlett-O’Hara-Südstaaten-Charme spielen, um Jim (Alexander Peiler) zu umgarnen, während Tochter Laura (Lena Vogt) im Uma-Thurman-Gedächtnis-Anzug versucht, der Welt am Plattenspieler zu entfliehen.

Mutter Amanda (Julia Wolff) lässt ihren Scarlett-O’Hara-Südstaaten-Charme spielen, um Jim (Alexander Peiler) zu umgarnen, während Tochter Laura (Lena Vogt) im Uma-Thurman-Gedächtnis-Anzug versucht, der Welt am Plattenspieler zu entfliehen.

Foto: Wuppertaler Bühnen / Uwe Schinkel

Mit musikalischen und filmischen Zitaten schafft er wunderbar poetische Momente.

Schwupps, ganz lässig springt Batman alias Tom Wingfield (Konstantin Rickert) aufs Dach des blauen Überseecontainers. Drinnen, so werden wir später sehen, befinden sich sämtliche Erinnerungsstücke seines alten Lebens, samt seiner Familie. Denn genau da leben sie, seine Mutter Amanda (Julia Wolff) und seine Schwester Laura (Lena Vogt), in der Erinnerung. In seiner — und in ihrer eigenen. Tom selbst, der hier als Erzähler auftritt, hat den Absprung geschafft aus dieser Geisterwelt. Ein Gefangener seiner Erinnerungen ist er dennoch geblieben, wie sich am Ende zeigen wird.

Doch zurück auf Anfang. Der Container (cleveres und stimmungsvolles Bühnenbild: Anne Manss) dreht sich und offenbart einen Raum, vollgestellt mit Möbeln und Requisiten dessen, was mal ein Leben war. Versatzstücke, die sich immer neu zusammenpuzzeln lassen. Dazwischen sitzt Mutter Amanda und schwelgt in Erinnerungen an ihre Jugend als Südstaatenschönheit. Damals, als sie unzählige Verehrer hatte und bevor sie den Vater ihrer beiden Kinder kennenlernte, der erst in den Alkohol und dann ganz flüchtete. Ein Abwesender, der auch 16 Jahre nach seinem Verschwinden das Leben seiner zurückgebliebenen Familie bestimmt.

Tochter Laura hört brav zu, streichelt ihren pinkfarbenen Stoff-Flamingo, bis die Mutter wieder einmal von den Verehrern spricht, die sicher bald auch Amanda den Hof machen und die in Wahrheit doch nie kommen werden. Laura weiß darum und flüchtet vor dem Druck der Mutter in ihre eigene Welt aus Musik und den kleinen Glasfiguren. Versonnen steht sie da am Plattenspieler, setzt die zerbrechlichen Püppchen aufs Vinyl und lässt sie darauf im Kreis fahren, während sie selbst Nancy Sinatras (und späteren "Kill Bill"-)Hit "Bang Bang" so fragil ins Mikro singt, dass man sofort auf die Bühne springen und sie trösten will. Es sind Szenen wie diese, die dem Abend seinen besonderen Charme verleihen.

Williams' "Glasmenagerie" (1944 uraufgeführt) ist eine regelrechte Antiquität des psychologischen Dramas und erzählt von einer unglücklichen Familie: Mutter, Tochter, Sohn, aneinander gefesselt in auswegloser Hassliebe. Drei Gespenster, lebendig begraben. Die nur in ihrer Fantasie und in der Erinnerung frei sind. Die vom Leben enttäuschte Mutter hat ihre Kinder und deren Gefühle längst aus den Augen verloren. Und was für Laura die Glasmenagerie, ist für Tom das Kino. Jeden Abend verbringt er dort, trinkt und träumt sich davon. Mal "Batman", mal "Braveheart", "Brokeback Mountain" oder "Fear and Loathing in Las Vegas" — im Spiel ist er bei sich und lebt sich aus. Martin Kindervater trägt diesen zeitlosen Gedanken der Realitätsflucht mühelos und gewitzt ins Hier und Jetzt.

Dieses konservierte Leben gerät aus den Fugen, als Tom eines Tages — auf Drängen seiner Mutter, die ihre Tochter unbedingt an den Mann bringen will — seinen Kollegen Jim (Alexander Peiler) mit nach Hause bringt. Nicht ahnend, dass genau er die heimliche Highschool-Liebe seiner Schwester ist. Und so wie Jim aus Unachtsamkeit das gläserne Einhorn — Lauras Lieblingsfigur — abbricht, so zerbricht er mit seinen unachtsamen Worten ihre Träume und damit ihre ganze fragile Welt. Denn Jim schenkt Laura zwar Aufmerksamkeit, scheint auch ein Gespür für diesen introvertierten und bis ins Mark verunsicherten Charakter zu haben — doch das entpuppt sich mehr als angelernte Rhetorik und Psychoklempnerei, denn als aufrichtiges Interesse. In dem Moment, als sein Werben um dieses scheue Mädchen Erfolg zeigt, entzieht er sich ihrer Zuneigung. Der glorifizierte Hoffnungsbringer, er verschwindet und hinterlässt nur Scherben.

Es ist ein ganz wunderbares Schauspiel-Quartett, auf das sich der Regisseur hier verlassen kann. Julia Wolff als Übermutter — unter anderem im Scarlett O'Hara-Gewand — ist hinreißend: Wie sie wirbt und gurrt, schimpft und monologisiert, ihre Fäden spinnt und cholerisch wütet. Konstantin Rickert als ebenso rebellischer wie sensibler Tom beeindruckt mit lässiger Präsenz. Gebannt schaut man ihm zu, wie es ihn immer wieder zwischen Verantwortungsgefühl und Freiheitsdrang hin und her reißt. Alexander Peiler legt seine Figur vielschichtig an und verleiht Jim gleichermaßen undurchsichtiges Kalkül und selbstsicheren Charme, unter dessen Oberfläche aber immer wieder ein liebenswürdiger Highschooljunge hervorschimmert. Ein jugendlicher Träumer, aus dem das Leben einen ehrgeizigen und vernünftigen Erwachsenen gemacht hat. Symbolisch in dem Moment, als er sich das Hemd vom Leib reißt und darunter ein gelbes "Star Trek"-Shirt zum Vorschein kommt.

Herz des Stücks ist jedoch die sensible Tochter, der Lena Vogt sehr anrührend Gesicht und Seele schenkt. Zu sensibel für eine Welt, in der jede Schwäche bestraft wird und jeder funktionieren muss, flüchtet sie sich in ihre Träume. Am Ende bleiben ihr nicht mal die und sie schenkt Jim ihre geliebte Glasmenagerie. Vielleicht hat er sie nötiger ... Der Vorhang fällt, der Kloß im Hals bleibt.

"Die Glasmenagerie": zwei Stunden ohne Pause.
Weitere Aufführungen am 21. und 30. Juni sowie am 6. und 7. Juli 2018, jeweils 19.30 Uhr.
Karten gibt es bei der Kulturkarte unter Telefon 0202/563—76 66 und auf www. kulturkarte-wuppertal.de

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