Wie erleben Sie es, jetzt an einem Arbeitsplatz eingeschlossen zu sein?
Hein: „Damit habe ich keine Probleme. Die JVA ist eine ganz eigene Welt, die ich jetzt schon seit ein paar Monaten kennenlerne und in der ich mich tatsächlich wohlfühle. Der erfahrene Kollege Jönk Schnitzius unterstützt mich mit Rat und Tat.“
Was gefällt Ihnen an der Tätigkeit als Gefängnisseelsorgerin?
Hein: „In der neuen Tätigkeit kann ich meine beiden Berufsstränge, also Soziales und Geistliches, miteinander verbinden. Das finde ich sehr schön und es ermöglicht oft auch einen anderen Blickwinkel auf die Situation von Inhaftierten, Bediensteten und überhaupt auf das alltägliche Geschehen in der JVA. Die Inhaftierten beschäftigen sich mit den großen und kleinen Fragen des Lebens, suchen eine Perspektive für das Hier und Jetzt und die Zukunft.
Sie brauchen im Gefängnis eine wertschätzende Begleitung, Annahme und Unterstützung, um ihr Leben hinter Gittern meistern zu können. Dabei möchte ich sie als Seelsorgerin unterstützen.“
Interessieren sich die inhaftierten Jugendlichen überhaupt noch für Gott und Fragen des Glaubens?
Hein: „Das ist sehr unterschiedlich. Jede Woche erhalten wir mehrfach die Bitte um ein Gespräch. Wir holen die Jugendlichen in ihrer Zelle ab und gehen mit ihnen in unser Büro oder die Kapelle. Es tut ihnen gut, aus der Zelle zu kommen und in einem geschützten Raum reden zu können. Manche haben Fragen zu Gott, Glaube und Gebet, wollen ein anderes Leben führen und fragen, wie sich ein Leben im Glauben an Gott gestalten kann. Andere leiden unter der Situation im Gefängnisalltag. Wieder andere stellen die Frage nach Schuld und den Umgang damit.“
Sie feiern im Gefängnis auch Gottesdienste. In vielen Kirchen sind sie zunehmend schlechter besucht. Wie sieht das in der JVA aus?
Hein: „Unsere Gottesdienste sind in der Regel gut besucht. Sie stellen auch eine Abwechslung zum Knastalltag dar. Viele Jugendliche sind nicht christlich sozialisiert, haben aber eine Idee davon, was Glaube ist. Daher ist es wichtig, dass wir sehr anschaulich über biblische Texte reden und Themen ansprechen, die ihren Lebensbezug aufgreifen.
Sie schätzen Rituale und eine verständliche, klare Sprache. Im Gottesdienst begegnen sie uns offen und frei von Vorurteilen. Das erstaunt und freut mich.“
In der JVA Ronsdorf sind auch junge Frauen inhaftiert. Erleben Sie die anders als die jungen Männer?
Hein: „Die weiblichen Inhaftierten sind von der JVA Iserlohn nach Ronsdorf überführt worden. Vieles im Haftalltag gestaltete sich dort anders als hier in der JVA. Hier sei es strenger‘, sagen die Mädchen. Es fällt ihnen nach wie vor zum Teil schwer, sich an den ,strengeren‘ Haftalltag zu gewöhnen. Es wird viel diskutiert und es herrscht eine eigene Dynamik.
Dazu trägt bei, dass viele Mädchen stark psychisch belastet sind. Ich höre zu, unterstütze bei Glaubens- und Lebensfragen: Auch diese Mädchen sind mit all ihren belastenden Gepäckstücken aus der Vergangenheit, mit ihren Problemen und Selbstzweifeln Gottes geliebte Töchter.
Mit der katholischen Kollegin Beate Josten biete ich eine Gesprächsgruppe für die Mädchen an. Und das seit Februar stattfindende Gospelprojekt für die Mädchen soll dazu beitragen, sie mit Geist, Seele und Leib anzusprechen und auf der musikalischen Ebene Annahme, Selbstwert und die Liebe Gottes für jede einzelne zu vermitteln.“
Sie sind spät als Seelsorgerin in die JVA gekommen. Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Hein: „Ich sehe das eher als einen Vorteil an. Ich bringe mit meinen 62 Jahren einiges an Lebens- und Berufserfahrung mit. Damit mag ich für die Jugendlichen in der Rolle einer Mutter oder Großmutter sein. Für die Seelsorge spielt das aber keine große Rolle. Viel wichtiger ist es, dass wir unter Schweigepflicht stehen.
Das ist für die Jugendlichen ein ganz entscheidender Aspekt, sich an uns zu wenden. Wir sind nicht Teil des Gefängnissystems. Wir sehen in den Jugendlichen nicht den Straftäter oder die Straftäterin, sondern den Menschen, dem wir mit Wertschätzung begegnen.“