Gesellenbrief für JVA-Häftlinge Fast normal — und sehr besonders

Wuppertal · Hunderte Wuppertaler erhalten in diesen Tagen ihren Gesellenbrief. Auch zehn junge Männer in der JVA Ronsdorf. Ein feierlicher Moment im grauen Alltag hinter Gittern.

 Der Leiter der Berufsschule, der Ausbildungsleiter und der Lehrer (v.l.) gratulieren dem 22 Jahre alten Inhaftierten zum besten Abschluss der Tischler. Mit dem Zeugnis aus dem Knast könnte er jetzt ein Gymnasium besuchen und Abitur machen.

Der Leiter der Berufsschule, der Ausbildungsleiter und der Lehrer (v.l.) gratulieren dem 22 Jahre alten Inhaftierten zum besten Abschluss der Tischler. Mit dem Zeugnis aus dem Knast könnte er jetzt ein Gymnasium besuchen und Abitur machen.

Foto: Rundschau / Max Höllwarth

Es ist eine fast normale Zeugnisverleihung. Es gibt die Reden, die es geben sollte. Trockene und berührende. Die Redner, die sagen, sie hätten schon genug gesagt und trotzdem weiter sprechen. Und die, die mit einem tragenden Zitat eines bedeutenden Menschen beginnen oder enden. In den Reihen sitzen Eltern, so wie es sein sollte, angerührt und stolz. Und die Absolventen, nervös und hibbelig, ein bisschen aufrechter als sonst, sie sehen glücklich aus. "Darf ich kurz etwas sagen?", fragt ein junger Mann, nachdem er sein Zeugnis bekommen hat. Und auch das passt — der schönste Moment ist die Schülerrede.

An diesem sonnigen Tag werden in der Ronsdorfer Justizvollzugsanstalt, dem zweitgrößten Jugendgefängnis in Deutschland, zehn junge Männer losgesprochen. Sie haben hinter Gittern ihre Ausbildung absolviert und erhalten nun den Gesellenbrief als Tischler, Hochbaufacharbeiter, Maurer oder Maschinenanlagenführer.

 Das Bild zeigt einige der im Gefängnis entstandenen Möbel.

Das Bild zeigt einige der im Gefängnis entstandenen Möbel.

Foto: Rundschau / Max Höllwarth

Die meisten von ihnen haben in ihrem Leben vor dem Gefängnis allzu oft die Schule geschwänzt. Vier von ihnen bekommen heute mit ihrem Abschluss sogar die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe. Das ist herausragend, aber meist seien die im Knast erzielten Ergebnisse gut, sagt Ausbildungsleiter Olaf Bock. Denn der sehr eintönige Gefängnisalltag bietet wenig Ablenkung vom Schulstoff.

Es ist das erste Mal, dass die Familien heute in die graue und von Mauern umsäumte Welt ihrer Söhne eintreten. Natürlich sei sie stolz, sagt eine Mutter. Aber ein bisschen fremdelt sie mit dem jungen Mann, ihrem Sohn, der so stolz sein Zeugnis entgegennimmt. "Wir kennen ihn anders", sagt sie und wünscht sich so, dass er auch nach seiner Entlassung die Kraft hat, aufrecht zu bleiben. "Es mag sich komisch anhören", sagt sie: "Aber er kann hier nicht viel tiefer fallen. Es gibt Konsequenzen." Die Welt draußen hingegen ist kompliziert.

Ein junger Mann, der Beste der Tischler, hat seiner Mutter nichts von der Zeugnisverleihung erzählt. Vor die anderen Familien und vor allem vor seine Wegbegleiter tritt er mutig und offen. Der 22-Jährige möchte etwas sagen, nachdem er sein Zeugnis entgegengenommen hat. Er schaut in überraschte Augen, eine Schülerrede war nicht vorgesehen. Es kostet ihn Überwindung, erzählt er hinterher. Es ist die erste Rede seines Lebens: "Ich möchte meinem Ausbildungsleiter danken. Es war nicht immer leicht mit uns und Sie haben an uns geglaubt. Das werde ich niemals vergessen."

Am Montag wird der junge Mann nach zwei Jahren und vier Monaten entlassen. Auch das weiß seine Mutter noch nicht. Er möchte sie mit einem großen Blumenstrauß überraschen. Wenn er dann den Berg hinauf geht und die riesengroße Gefängnisanlage in seinem Rücken liegt, beginnt vielleicht die zweitschwerste Zeit in seinem Leben. "Ich glaube, ich werde mich einmal noch umdrehen", sagt er. "Aber dann lasse ich das alles hinter mir."

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