„Intimizid“-Prozesse am Landgericht Eiskalt geplant, aus Wut oder aus tiefem Mitleid

Wuppertal · Wenn eine Beziehung mit der Tötung des Lebenspartners endet, spricht man von „Intimizid“. Die Ursachen dafür können ganz unterschiedlich und oft sehr bewegend sein. Über zwei Fälle aus Wuppertal erzählte jetzt der psychiatrische Gutachter Prof. Dr. Pedro Faustmann bei einem Vortrag am Landgericht.

  Prof. Dr. Pedro Faustmann.

Prof. Dr. Pedro Faustmann.

Foto: Sabine Maguire

Er war immer pünktlich. Jeden Tag, nachmittags um drei. Sieben Jahre lang. Er nahm seine Frau an der Hand und ging mit ihr spazieren. Als sie schwächer wurde, schob er sie im Rollstuhl durchs Grün des Seniorenheims. Dorthin hatte er sie bringen müssen, als nichts mehr ging. Und dennoch, sie waren glücklich – 52 Jahre lang.

Am Ende war sie ihm entglitten. Erst verlor sie ihren Ehering, irgendwann auch die Worte. Erkannt hat sie ihn da schon längst nicht mehr. Als es ihr noch besser ging, waren sie oft von Wuppertal aus ins Bergische zum Schwimmen gefahren und auf dem Weg dorthin hatte er diese Garagen entdeckt. Es waren so viele, dass es nicht weiter auffallen würde, wenn man irgendwann mal hineinfährt und nicht mehr rauskommt.

Eine davon hatte er schon vor Jahren gemietet: Für den Tag, von dem er hoffte, dass er nie kommen würde. Und dann war er dennoch da, dieser Tag. Für diejenigen, die sie später an den Abgasen erstickt in der Garage finden würden, hatte er 200 Euro an die Windschutzscheibe geklemmt. Schlaftabletten, Schnaps und für den Notfall eine Rasierklinge: Er hatte an alles gedacht. „Ich wusste ja nicht, wie lange sowas dauert“, sagt er später im Gerichtssaal.

Und dann habe der aufmerksame Hausmeister an das Garagentor geklopft, laut und kräftig. Er fühlte sich ertappt und erzählte dem Mann von seinen Plänen. Zwei Kriegskinder verabschieden sich: Das hatte er so auf einen Zettel geschrieben, den man später im Auto gefunden hatte. Auch in der Wohnung hatte er Abschiedsbriefe verteilt. Sie seien auf dem Jacobsweg, man solle sie nicht suchen.

Den Rollstuhl seiner Frau hatte er in der Diakonie zurückgelassen, mit einem Zettel und einem 20-Euro-Schein für denjenigen, der ihn finden würde und auf die Station zurückbringen möge.

Und nun war da am Garagentor dieser Hausmeister, der alle Pläne zunichtemachen drohte. Als der die Polizei rief, setzte sich der Senior ins Auto und fuhr den Mercedes gegen den Baum. Seine Frau auf dem Beifahrersitz – und schon seit langem in einer Welt, die ihm verschlossen geblieben war. Zwei Wochen hat sie danach noch gelebt. Dass sie tot ist und er weiterleben muss: Das ist für ihn ein großes Unglück. Auf die Frage, ob es nicht andere Wege gegeben hätte, um mit der Demenz seiner Frau umzugehen, antwortete der Angeklagte im Gerichtssaal das: „Als sie nicht mehr schlucken konnte, war mir klar: Jetzt ist es soweit.“

Am Ende eines gemeinsamen Lebens in eine solche Situation zu kommen: Das könne das Gefühl auslösen, alles nicht mehr bewältigen zu können. „Die Last wird höher bewertet als die Möglichkeit, damit umgehen zu können“, so der psychiatrische Prof. Dr. Pedro Faustmann bei seinem Vortrag am Landgericht.

Die Beweggründe dafür, den Lebenspartner zu töten, sind vielschichtig. Etwa 80 Prozent der Taten werde Männern zugeschrieben, aber auch Frauen würden ihren Intimpartner töten. Dabei komme es seltener zu Gewalttaten, stattdessen häufiger zum „Giftmord“. Überwiegend unentdeckt blieben die Tötungsdelikte, bei denen beispielsweise bei demenzkranken Partnern die Medikamente überdosiert werden.

Faustmann spricht von tragischen Fällen, oft gehe es dabei um Überforderung und Verzweiflung. Nicht selten sei es auch ein gescheiterter „Mitnahmesuizid“, den der später verurteilte Partner überlebt habe.

Vor allem bei Männern gebe es aber meist andere Gründe für den Intimizid. Dazu gehöre die „eiskalte Variante“, bei der ganz sachlich entschieden werde: Die muss weg! Die emotionale Beziehung habe es meist schon zuvor nicht mehr gegeben, es gehe in solchen Fällen vor allem darum: „Die Frau steht im Weg und wird entsorgt.“ Andere Männer würden aus Eifersucht töten und aus der Furcht heraus, die Partnerin an einen Rivalen zu verlieren. Der Auslöser sei fast immer eine Kränkung, gefolgt von einem Ausbruch von Wut, Zorn und Angst.

An einen solchen Fall erinnert sich Michael Kaps. Der Strafverteidiger saß vor einigen Jahren neben einem Angeklagten, der seiner Frau mit dem Messer den Hals durchgeschnitten hatte. Sie war selbständig und erfolgreich, ihrem arbeitslosen Mann hatte sie vorgeworfen, nur auf der Couch zu sitzen. Die 53-Jährige hatte sich die Brüste vergrößern lassen, war auf Partys gegangen: Irgendwann war ein Nebenbuhler ins Spiel gekommen, etliche Jahre jünger als der Angeklagte.

Der betrogene Ehemann fand Textnachrichten auf dem Handy seiner Frau und als das Opfer ein nächtliches Gespräch ablehnte, nahm das Unheil seinen Lauf. „Das hat mir die Beine weggeschlagen“, sagte der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Mann später vor Gericht.

Nach der Tat hatte er eine befreundete Gerichtsreporterin angerufen und danach die Polizei. Bevor die kam, hatte er sich rasiert, geduscht und sich ordentlich angezogen. Sein Verteidiger erinnert sich daran, dass der Mann im Gerichtssaal seinen Ehering trug ...

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