Nach Toreschluss — die Wochenendsatire Zeitnah oder zeitfern?

Wuppertal · Man muss ja nicht jeden Blödsinn mitmachen. Zum Beispiel das Wort "zeitnah" benutzen. Wo kommt das eigentlich so plötzlich her? Waren bewährte Begriffe wie "bald" oder "zügig" eventuell in Reparatur oder in Urlaub, so dass man als Verzweiflungstat auf diese Fehlkonstruktion zurückgreifen musste?

 Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Foto: Bettina Osswald

Man muss ja nicht jeden Blödsinn mitmachen. Zum Beispiel das Wort "zeitnah" benutzen. Wo kommt das eigentlich so plötzlich her? Waren bewährte Begriffe wie "bald" oder "zügig" eventuell in Reparatur oder in Urlaub, so dass man als Verzweiflungstat auf diese Fehlkonstruktion zurückgreifen musste?

Oder ist bei denen das Haltbarkeitsdatum abgelaufen? Nein! "Zeitnah" ist einfach nur eine weitere Ausgeburt des dämlichen Wichtigtuer-Sprechs, mit dem wir immer flächendeckender überschüttet werden.

Sehen wir uns doch dieses "zeitnah" mal zeitnah näher an. Also jetzt. Zeitnah heißt ja, dass man nah an der Zeit ist, aber offensichtlich nicht direkt dran. Da es aber nach meinem Kenntnisstand aktuell auf dem Markt noch keine Zeitmaschinen zu kaufen gibt, wird man diesen Rückstand auch nicht aufholen können.

Wer "zeitnah" etwas erledigt, ist also auf jeden Fall immer zu spät. Sehr schön deutlich machen kann man dieses Phänomen an folgendem Zitat aus einer Bilanzpressekonferenz der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg: "Der Fokus der Flughafengesellschaft liegt darauf, den BER erfolgreich und möglichst zeitnah in Betrieb zu nehmen." Es stammt aus dem Juni 2013.

Das war vor mehr als drei Jahren, in deren Verlauf der Berliner Großflughafen dauerhaft vor der zeitnahen Eröffnung stand, die bis heute noch nicht stattgefunden hat, nunmehr aber möglichst zeitnah erfolgen soll. Zeitnah nach der Eröffnung wird er dann voraussichtlich wegen Renovierungsbedarfs wieder geschlossen.

Insgesamt betrachtet kommt der Flughafen also zu spät. Apropos spät: Merkwürdigerweise ist dieses bewährte Wort noch nicht durch Wichtigtuer-Sprech ersetzt worden. Dabei würde sich dafür doch "zeitfern" anbieten. "Mit der Ankunft des ICE 666 von Berlin über Wuppertal nach Godot ist zeitfern zu rechnen" — damit ließen sich Verspätungen auf ausgesprochen sympathische Art zeitnah kommunizieren.

Und schon wären wir beim nächsten Wichtigtuer-Lieblingswort: "Kommunizieren" hat grundsolide Klassiker wie "Bescheid sagen" oder "bekannt machen" vor allem in der Geschäftswelt nahezu ausgerottet. Nicht nur dort kommunizieren immer mehr Menschen, die eigentlich gar nichts zu sagen haben, immer mehr Inhalte, die wahlweise keiner wissen will oder niemand mehr versteht. In Wuppertal kommuniziert die Verwaltung beispielsweise gerade, dass der kostenmäßig gedeckelte Döppersberg-Umbau nun doch teurer wird. Allerdings nicht wegen der Baukosten, sondern wegen der aufwändigen Berichterstattung darüber, dass die Baukosten im Rahmen liegen.

Sehr zeitfern werden wir vielleicht auch sowas verstehen. Möglicherweise schon in 2018. Moment: in 2018? Hieß das nicht früher einfach nur 2018? Noch so ein Schwachsinn, der um sich greift. Dieser ganze Quatsch macht doch keinen Sinn. Aaargh — und da hätten wir jetzt also auch noch das Schlimmste dieser Dinger. Früher hatte etwas Sinn oder eben nicht. Inzwischen gibt es aber offensichtlich wichtige Leute, die Sinn machen können.

Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, dann bitte ich Sie herzlich darum, mich über Details des Fertigungsprozesses zu informieren. Ich würde das dann noch in 2016 hier zeitnah kommunizieren.

Bis die Tage!

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