Bergische Uni Wuppertal Beschäftigte profitieren von einer Morgenroutine

Wuppertal · Eine kurze Meditation am Morgen kann den gesamten Arbeitstag von Beschäftigten prägen und durch eine Stärkung der Selbstregulation noch am Abend das Wohlbefinden positiv beeinflussen. Das haben Forschende vom Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Bergischen Universität Wuppertal und dem Trinity College Dublin in einer Studie herausgefunden, deren Ergebnisse sie nun im Journal of Occupational Health Psychology veröffentlichten.

 Yoga (Symbolbild).

Yoga (Symbolbild).

Foto: shushipu auf Pixabay

Konkret wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen, ob sich eine Morgenroutine – wie die Durchführung von Achtsamkeitsübungen – positiv auf den gesamten Tag von Beschäftigten auswirken kann, auch wenn diese zwischen privatem und beruflichem Umfeld wechseln. Dabei nahmen die Forschenden explizit kurze, sogenannte Mikrointerventionen, unter die Lupe, da diese für Arbeitnehmende am besten in den Tagesablauf integrierbar sind.

„Aus früheren Forschungsarbeiten wissen wir von einer guten Wirksamkeit längerer Achtsamkeitsinterventionen. Sie haben das Potenzial, das Wohlbefinden von Mitarbeitenden über mehrere Wochen und Monate hinweg zu fördern“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Stefan Diestel.

Auch für kürzere Übungseinheiten sind die unmittelbaren Folgen gut belegt, seien es sofortige positive Auswirkungen auf die Gelassenheit und die Schlafqualität oder der Abbau von Stress und Angst. Unklar war bislang jedoch, was über die kurzfristigen Vorteile hinaus bleibt. „Also wollten wir wissen, welchen potenziellen Nutzen eine Morgenroutine auch für den Arbeitstag und mit Rückkehr nach Hause bis in den Abend hinein haben kann. Kurz gesagt: ob sich die wissenschaftlich bereits gut belegte positive Wirkung der Achtsamkeitsintervention übertragen lässt“, so Studienautorin Charlotte Hohnemann.

Derartige Übertragungseffekte (auch als spill-over bezeichnet) von Gefühlen, Verhaltensweisen oder Informationen von einem Bereich auf einen unabhängigen anderen sind in der Psychologie und weiteren Fachgebieten ausreichend bekannt. Entsprechend nahmen die Wissenschaftler*innen auch die Mechanismen ins Visier, die hinter der Wirkung der Meditation stecken und zu diesen Übertragungseffekte führen könnten.

Mühelose Konzentration

Sie fanden heraus, dass sich der Zeitaufwand am Morgen lohnen kann: Ihre Ergebnisse bestätigten die meisten ihrer Annahmen und legen nahe, dass eine kurze Meditation am Morgen Beschäftigte im Tagesverlauf bei der bewussten Steuerung von Verhalten, Emotionen und Gedanken unterstützt. Als Folge daraus bringen sie das Wahrnehmen ihrer Arbeitsaufgaben in Einklang mit ihren eigenen Werten und Interessen, sodass sie in ein tiefes Flowerleben geraten können.

„Eine Übereinstimmung externer Ziele mit persönlichen Werten und Interessen fördert das Flowerleben. Das ist erstrebenswert, denn es führt dazu, dass wir uns mühelos einer Aufgabe widmen können und in ihr aufgehen. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Dieser angenehme Zustand steigert unser Wohlbefinden, das sich, wie wir herausgefunden haben, sogar mit nach Hause nehmen lässt. Bei unseren Studienteilnehmenden äußerte sich das in einer wahrgenommenen Vitalität am Abend, die Ausdruck psychologischen und physiologischen Wohlbefindens ist. Erleben wir also mehr Flow auf der Arbeit, fühlen wir uns auch danach noch fitter“, fasst Hohnemann zusammen.

Mit ihren Studienergebnissen trägt die Arbeitsgruppe nicht nur zum Ausbau der Achtsamkeitsforschung und einem tieferen Verständnis von tagesspezifischen Tätigkeitsprozessen bei. Sie liefert Beschäftigen und Organisationen ebenfalls wertvolle Erkenntnisse darüber, wie eine wirksame Morgenroutine aussehen und so für mehr Wohlbefinden bei den Arbeitnehmenden sorgen könnte. Beispielsweise können Unternehmen durch das Bereitstellen von geführten Meditationen als Audiodateien, das Anbieten entsprechender Workshops oder der Einführung flexibler Arbeitszeiten einen wertvollen Beitrag leisten.

Mehr Hintergrund zur Studie: Selbstregulation vs. Selbstkontrolle

Für die bisherige Achtsamkeitsforschung gelten die autonome Selbstregulation und die willentliche Selbstkontrolle als wichtige Erklärungsmechanismen, die die positiven Auswirkungen von entsprechenden Übungen auf das Wohlbefinden bestimmen können. Dabei beschreibt die autonome Selbstregulation, dass notwendige Handlungen zum Erreichen eines externen Ziels mit den inneren Werten einer Person übereinstimmen – das Handeln fällt leicht. Die willentliche Selbstkontrolle dagegen beschreibt einen psychologischen Kraftakt, der dann aktiviert wird, wenn eigene Werte zu Gunsten externer Ziele zurückgestellt werden müssen.

„Nehmen wir für den Arbeitsalltag das Beispiel, dass ich einer Kollegin bei der Bearbeitung einer Excel-Tabelle helfen soll. Ich kann diese Aufgabe als sehr monoton empfinden, weshalb ich mich eigentlich dagegen wehren würde, akzeptiere sie aber, da ich weiß, dass sie getan werden muss. Oder aber ich sehe darin den positiven Aspekt, zum Beispiel, dass ich meiner Kollegin helfe, oder konzentriere mich gänzlich auf die geforderte Sorgfalt. Meditation kann unterstützen, diese unterschiedlichen Aspekte zu erkennen und für sich zu nutzen“, so Hohnemann.

Indem sie in ihrer Befragung Selbstregulation und Selbstkontrolle gleichzeitig berücksichtigten, richteten die Forschenden aus Wuppertal ihren Fokus nun erstmals auch auf die Frage, ob beide Prozesse gleichbedeutend für die positiven Folgen einer Meditation sind oder ein Prozess dominiert. „Nur so konnten wir feststellen, ob die kurze Achtsamkeitsintervention die Übereinstimmung externer Ziele mit persönlichen Werten oder die Akzeptanz einer nicht vorhandenen Übereinstimmung fördert“, beschreibt Diestel.

Tagebuchstudie liefert Daten

Zur Durchführung der Untersuchung wurden Teilnehmende für eine Tagebuchstudie gesucht. In die Ergebnisauswertung flossen schließlich die Daten von 78 Personen ein. 72 Prozent der Teilnehmenden waren Frauen, das durchschnittliche Alter betrug 33,7 Jahre. Die Befragten kamen aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten, gehen in ihrem Arbeitsalltag also unterschiedlichen Aufgaben nach. Zehn Arbeitstage lang bekamen die Teilnehmenden dreimal täglich einen Fragebogen zugeschickt.

In der zweiten Hälfte der Studie, an Tag sechs bis zehn, setzten zudem die Achtsamkeitsübungen ein: Jeden Morgen sollten die Teilnehmenden vor der Arbeit und zu Hause eine zehnminütige, audio-geführte Meditation durchführen. Sie wurden angewiesen, sich bequem hinzusetzen, sich auf den Atem zu fokussieren und Gedanken ohne jegliches Urteil zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem wurden die Teilnehmenden motiviert, das Gefühl und ihre Einstellung am Morgen in den folgenden Arbeitstag zu integrieren.

Mit den täglichen drei Online-Fragebögen erhielten die Forschenden Erkenntnisse über die für sie interessanten Themen und die Möglichkeit, Zusammenhänge zu untersuchen. So wurden die Teilnehmenden gebeten, Aussagen zu jedem Bereich auf einer Zustimmungsskala zu bewerten: Achtsamkeitszustand am Morgen (zum Beispiel „Mir fiel es leicht, mich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren“), Selbstregulation und Selbstkontrolle während der Arbeit (zum Beispiel „Ich habe mich heute voll und ganz mit dem identifizieren können, was ich bei der Arbeit getan habe“), Flowerleben (zum Beispiel „Heute bei der Arbeit war ich völlig in das vertieft, was ich gerade tat“) sowie Vitalität am Abend (zum Beispiel „Gerade fühle ich mich energiegeladen“).

„Aus den Antworten unserer Teilnehmenden können wir schließen, dass es einen dominanten Prozess gibt: Eine kurze Meditation am Morgen fördert die Selbstregulation und reduziert die Selbstkontrolle bei der Arbeit. Dadurch können die Beschäftigten leichter in das Flowerleben kommen, was wiederum zu einer subjektiv wahrgenommenen Vitalität am Abend führen kann“, resümiert Hohnemann abschließend.

Zukünftige Forschung, empfehlen die Autorinnen und Autoren, sollte auf den vorliegenden Ergebnissen aufbauen und zusätzliche Messverfahren, wie beispielsweise Fremdeinschätzungen oder die Messung körperlicher Merkmale, berücksichtigen. Darüber hinaus sei es sinnvoll, weitere Mechanismen und Rahmenbedingungen einzubeziehen, wie beispielsweise die Rolle von Stressbewältigung und Ressourcenaufbau oder der organisatorischen Einflüsse im Unternehmen, um das Forschungsfeld zu vertiefen und ein umfassenderes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse zu erlangen.

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