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Flüchtlingen eine Stimme geben

Flüchtlingen eine Stimme geben

Der kurdische Syrer Hussein Shahin (20) war anderthalb Jahre lang zu Fuß auf der Balkanroute nach Deutschland unterwegs. Jetzt lebt er in Wuppertal, will studieren — und hat andere Flüchtlinge interviewt: Wie denken sie über Deutschland, was halten sie von den Silvesternachtvorfällen in Köln?

Der kurdische Syrer Hussein Shahin (20) war anderthalb Jahre lang zu Fuß auf der Balkanroute nach Deutschland unterwegs. Jetzt lebt er in Wuppertal, will studieren — und hat andere Flüchtlinge interviewt: Wie denken sie über Deutschland, was halten sie von den Silvesternachtvorfällen in Köln?

Schon zu Hause im syrischen Kurdengebiet war Shahin politisch engagiert — mit Folgen: Heiratsverbot, Verbot des Wohnortwechsels, keine Chance auf einen Studienplatz. Endlich angekommen in der Yorckstraße in Vohwinkel ("Ich habe auf der Flucht manchmal tagelang nur Blätter gegessen"), hat Shahin schnell sehr gut Deutsch gelernt und lebt heute bei einem Wuppertaler Gastfamilienehepaar: "Meine Gasteltern sind fast wie Vater und Mutter für mich", so der junge Mann, der zurzeit Gasthörer an der Bergischen Uni ist.

Was ihm schnell klar wurde: "Ich kenne die Flüchtlinge, aber sie haben keine eigene Stimme." Deswegen nutzte er die kurze Zeit eines Praktikums bei der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz für ein Interview-Projekt. Acht zwischen 17 und 64 Jahre alte Landsleute hat er befragt — fünf Frauen, drei Männer. Welchen Eindruck sie von den Deutschen und Deutschland haben, was sie über die Kölner Vorfälle denken, ob sie die aktuellen Nachrichten und Diskussionen über Flüchtlinge verfolgen, wie ihre Zukunftswünsche aussehen, und was sie den Deutschen gerne sagen möchten — das alles wollte Hussein Shahin wissen.

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Er sagt: "Die Medien laufen fast alle nur in eine Richtung, immer geht es um die Angst vor Flüchtlingen. Ich wollte etwas dagegen setzen, den Flüchtlingen eine Stimme geben, damit beide Seiten sichtbar werden."

Shahins Gesprächspartner haben teilweise sehr überraschende Antworten gegeben: Ihr Deutschland-Bild ist "sehr, sehr positiv, voller großer Dankbarkeit vor allem im Vergleich zu anderen Ländern, durch die sie auf ihrem Weg mussten." Sebastian Goecke, Geschäftsführer der Wuppertaler Initiative: "Ich glaube, die Deutschen würden sich kaum wiedererkennen, wenn sie hören, wie positiv die Flüchtlinge sie sehen."

Die Ablehnung und Empörung angesichts der Kölner Ereignisse ist bei den Flüchtlingen ganz deutlich: Shahins Interviewpartner haben seither eine Verschlechterung ihrer Situation erlebt. "Man wird schief angeschaut, teilweise sofort angepöbelt, wenn man nur in einer Gruppe mit Freunden zusammensteht." Männer und Frauen verurteilen durchgängig, was passiert ist — sagen aber auch, dass es solche Vorfälle in allen Ländern immer wieder gibt.

Was Köln bedeutet (hat), bringt der 27-jährige Mazim auf den Punkt: "Wir sind aus einer Diktatur geflohen, um in Freiheit leben zu können. Ich habe durch die Vorfälle Angst, nicht so frei leben zu können wie die Deutschen, Angst vor Rassismus." Oder die 40-jährige Nariman, die sagt (und von der 17-jährigen Lilaf dabei unterstützt wird): "Nicht alle Flüchtlinge sind gleich. Es gibt gute und schlechte Leute."

Ein Erlebnis, das Shahin und andere Flüchtlinge hatten, macht betroffen: Mit 30 Rosen und einem Infozettel, auf dem "Wir sind froh, hier in Sicherheit leben zu können" geschrieben stand, waren sie in der Elberfelder City, um mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Drei Stunden lang — und nur wenige Wuppertaler haben die Blumen angenommen. Shahin: "Ich kenne viele schlechte Wörter gar nicht, aber es gab viele schlimme Antworten. Trotzdem machen wir so eine Aktion noch einmal."

Das Interviewprojekt jedenfalls soll ausgeweitet werden — auch auf andere Nationalitäten. Sebastian Goecke sieht großen Bedarf dafür: "Immer noch wird fast ausschließlich über Flüchtlinge geredet, fast nie mit ihnen. Das kann nicht so bleiben."

Kontakt zur Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz ist möglich per Telefon 563—27 59 oder im Internet auf www.wuppertaler-initiative.de