Leserbrief „Es macht doch einfach keinen Sinn“

Betr.: Offener Brief an NRW-Landesverkehrsminister Krischer

 Bild von der Demo am 16. März 2024.

Bild von der Demo am 16. März 2024.

Foto: Christoph Petersen

Sehr geehrter Herr Minister Krischer,

Am Samstag, dem 16. März 2024, fand in Wuppertal-Ronsdorf eine Demonstration gegen den Ausbau der L419, organisiert von einem breiten Bündnis von Naturschutzorganisationen, dem Ronsdorfer Verschönerungsverein (RVV) und dem ADFC, statt. Circa 1.500 Menschen allen Alters nahmen daran teil.

Die Argumente gegen diesen Ausbau müssten Ihnen bekannt sein durch den RVV und dessen Klage. Auch eine Petition wurde bei Ihnen bereits eingereicht. Wöchentlich erscheinen neue Leserbriefe in den lokalen Zeitungen mit vielen, sich wiederholenden, aber auch mit immer neuen Gründen gegen dieses Projekt. Da Sie diese Zeitungen nicht alle lesen können, schreibe ich nun an Sie persönlich. Ich kann die Gründe hier nicht alle ausführen; das würde den Rahmen dieses Briefes sprengen. Deswegen hier nur eine grobe Zusammenfassung.

Dass sich Bürgerinnen und Bürger gegen ein Bauvorhaben positionieren, passiert häufig und kann verständlicherweise nicht immer berücksichtigt werden, wenn ein übergeordnetes Interesse daran besteht. In diesem Fall besteht das übergeordnete Interesse darin, die Bedingungen für den KFZ-Personen- und Lieferverkehr zu verbessern und andere Straßen zu entlasten. Damit wird genau das attraktiver gemacht, was eigentlich dringend zurückgefahren werden muss.

Wenn die Straßen besser werden, ziehen sie mehr Verkehr an und niemand sucht nach Alternativen. In diesem Fall muss kostbarer Naturraum weichen, werden große Flächen versiegelt und es geht zunächst einmal nur um einen Teilabschnitt, der den Verkehr nicht besser fließen lässt, sondern den Stau verlagert. Sollte wirklich einmal eine Verbindung zur A1 gebaut werden, müssen noch weitere Grünflächen geopfert werden.

Nach einer jahrelangen Bauzeit, die den Stadtteil erheblich belasten wird, wird sich der Verkehr verdoppeln, die Anwohner müssen mit Lärm- und Luftverschmutzung leben als Dank dafür, dass sie einen Teil Ihres Naherholungsgebiets verloren haben. Nicht auszudenken, was bei Starkregenereignissen passieren kann und bei den zu erwartenden hohen Temperaturen im Sommer. Denn dann fehlt ein Teil des Grüngürtels, der Wasser aufnehmen, und der Kühle und Feuchtigkeit spenden kann.

Hier muss auch erwähnt werden, dass Ronsdorf bereits für ein übergeordnetes Interesse in direkter Nachbarschaft der Straße viel Grünland für zwei Landesschulen und eine Jugend-JVA geopfert hat. Dazu wird in absehbarer Zeit dort auch noch eine Forensische Klinik gebaut.

Linienbusse, die den Stadtteil Ronsdorf mit der Wuppertaler Innenstadt und dem Hauptbahnhof verbinden, werden die ausgebaute Straße nicht mehr benutzen dürfen und über eine eigene, weitere Strecke umständlich durch ein enges Wohn- und Gewerbegebiet geleitet. Das bedeutet mehr Zeitaufwand und fördert nicht die Benutzung des ÖPNV. Den Fahrradfahrenden wird dann zugemutet, entlang einer autobahnähnlichen Straße zu fahren, was auch nicht gerade einlädt, auf das Rad umzusteigen.

Fast wöchentlich werden neue wissenschaftliche Studien veröffentlicht, die belegen, wie schlecht es um unser Klima steht. Vergangene Woche war es die Weltwetterorganisation, die Alarmstufe Rot ausrief. Auch hier bei uns können wir das schon spüren: Hochwasser, Stürme, zu hohe Temperaturen das ganze Jahr über. Es wird dringend gewarnt, wenn wir nicht jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, gibt es mittel- bis langfristig eine Katastrophe.

Das heißt auch verhältnismäßig kleine Hebel, wie ein unnötiger Straßenausbau. Solche Projekte müssen neu auf den Prüfstand gestellt werden, auch wenn sie bereits beschlossen sind. Noch kann man mit vielen Maßnahmen beitragen, das Schlimmste zu verhindern. Wenn die Bäume gefällt sind, ist dieser Schaden nicht wieder gut zu machen. Es macht doch einfach keinen Sinn, jetzt noch Straßen zu bauen, wenn es eigentlich dringend erforderlich ist, einen großen Teil der Mobilität und den Transport auf die Schiene und den öffentlichen Verkehr zu verlegen.

Vielleicht wird man in Zukunft mit intelligenten Lösungen viele Fahrten ganz vermeiden können. Natürlich geht es nicht ganz ohne Individualverkehr, doch selbst elektrisch betrieben, wird immer noch viel wertvolle Fläche benötigt, die man anders nutzen könnte. Deswegen sollte dieser durch ein Angebot attraktiver Alternativen möglichst geringgehalten werden.

Deswegen meine Frage an Sie als Verkehrsminister: Warum können Sie diesen Beschluss nicht stoppen, auch wenn er durch die Vorgängerregierung gefasst wurde? Und wenn diese Möglichkeit bisher nicht besteht, muss doch darum gekämpft werden. Das ist Ihre Aufgabe als Politiker in solch einer Ausnahmesituation. Zitat UN-Generalsekretär Antonio Guterres nach Veröffentlichung des WMO-Berichts zum Zustand des Weltklimas 2023: „Die Erde sendet einen Hilferuf aus. Der Bericht zeigt einen Planeten am Abgrund.“

Danach kann man doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und kontraproduktive, unsinnige Beschlüsse durchwinken! Es muss doch gerade für Sie als Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen eine Herzensangelegenheit sein. Wie erklären Sie das Ihrer Basis und Ihrer Wählerschaft?

Es geht hierbei um die grundsätzliche Frage: Was sind wir bereit, für unser Klima und die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder zu tun? Ich habe den Eindruck, da sind viele Bürgerinnen und Bürger entschlossener als die Politik.

Ich würde mich sehr über eine Antwort auf meine Frage freuen, und sicher nicht nur ich.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Geiß

Leserbrief an die Wuppertaler Rundschau: redaktion@wuppertaler-rundschau.de
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