Rundschau-Thema "Mehr Wuppertal wagen!" "Wuppertal hat die Welt gerockt"

Wuppertal · Ein neuer Döppersberg. Vielleicht eine Seilbahn. Garantiert ein Tanzzentrum. Dazu plötzlich überregionales Lob für Wuppertal. Was ist los? Waren wir nicht mal die "sterbende Stadt"? "Ja", sagt Dr. Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal Institutes, "aber Wuppertal sendet gerade kraftvolle Lebenszeichen." Mit Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz sprach er über den speziellen Charme der "Powerstadt".

 Dr. Uwe Schneidewind in seinem Büro direkt an der Döppersberg-Baustelle.

Dr. Uwe Schneidewind in seinem Büro direkt an der Döppersberg-Baustelle.

Foto: Bettina Osswald (Archiv)

Wuppertal bekommt einen neuen Döppersberg. Dort soll sich Primark ansiedeln, ein Factory Outlet entstehen und nicht weit entfernt das Tanzzentrum — geht es nach einigen Menschen, auch eine Seilbahn. Formt sich Wuppertals Zentrum gerade ganz neu?

Schneidewind: Ja, man kann sagen, Wuppertals Zentrum richtet sich neu aus. Bisher war der Döppersberg als Tor zu einer pulsierenden Stadt ja in einem unhaltbaren Zustand. Mit dem Umbau ist ein weiterer Knoten geplatzt und es entsteht viel Neues. Einiges davon ist wie in anderen Städten auch und letztlich austauschbar. Die Seilbahn wäre jedoch ein besonderer Akzent.

Rundschau: Welchen Akzent würde eine Seilbahn setzen?

Schneidewind: Eine Seilbahn ist eine hoch praktische Erweiterung des Öffentlichen Nahverkehrs in Wuppertal. Sie erzählt aber auch eine Geschichte über ein wiederbelebtes Selbstverständnis der Stadt: Hier wird weiter gedacht, wir sind anders, wir trauen uns!

Rundschau: Wenn sich das Gesicht der Stadt so verändert, verändert sich damit auch ihr Charakter?

Schneidewind: Ja, das ist ja ein Wechselspiel. Mit einer Seilbahn — sowie vielen anderen innovativen Projekten verändert sich der Blickwinkel auf die Stadt. Wuppertaler entwickeln ein ganz anderes Selbstbewusstsein, freuen sich wieder aus dieser Stadt zu kommen — und treten auch nach außen so stolz auf. Solche Projekte sagen: Schaut her, diese Stadt ist im Aufbruch! Wuppertal ist eine Stadt, die eine gute Geschichte zu erzählen hat. Und das ist so wichtig für das Image.

Rundschau: Wie geht denn diese Geschichte?

Schneidewind: Wuppertal war einst eine blühende Perle, eines der größten Wirtschaftszentren des Landes und dank der Innovationsbereitschaft der Unternehmer auf dem Weltmarkt in herausragender Position. Dann war die Stadt ganz unten angekommen. Abgeschrieben. Für tot erklärt. Aber jetzt geht es hier wieder los. Jetzt passiert wieder ganz viel. Wuppertal sendet Lebenszeichen: Wir leben noch und es geht mit voller Kraft voraus. Das lädt zum Mitmachen ein!

Rundschau: Was ist es, was diesen besonderen Wuppertaler Geist ausmacht?

Schneidewind: Wuppertal lebt von seinen Brüchen. Der Charme liegt im Unperfekten. Das zieht einen gewissen Typus von Menschen an, die hier etwas bewegen wollen. Diese Menschen kommen mit originellen Ideen, sie lassen sich nicht so schnell entmutigen, suchen nach Möglichkeiten, auch wenn es kein Geld von offizieller Seite gibt. Bürgerschaftliches Engagement hat diese Stadt immer schon ausgezeichnet, hat hier Tradition. Und wo sich solche Menschen engagieren, kommen weitere nach. Wuppertal war immer schon ein solches Kraftzentrum. Im 19. Jahrhundert hat Wuppertal "die Welt gerockt", warum sollte das gut hundert Jahre später nicht wieder gelingen? Das nimmt man Wuppertal eher ab als vielen anderen Städten. Und wenn man die richtige Geschichte erzählt, entwickelt sich daraus eine ganz eigene Kraft.

Rundschau: Wenn man die aktuellen Entwicklungen betrachtet, wie wird Wuppertal dann in etwa 20 Jahren aussehen?

Schneidewind: Das lässt sich nicht im Detail prognostizieren — und das macht es so interessant. Entscheidend ist, dass die Stadt von spannenden Akteuren gestaltet wird. Ob es Beate Blaschczok, Christian Hampe und ihre Mitstreiter in der "Utopiastadt" sind, die Küpper-Familie vom Arrenberg, Menschen wie Gerhard Finckh vom Von der Heydt-Museum, der neue Opernintendant Berthold Schneider, Carsten Gerhardt, Antje Lieser oder auch ein Uwe Clees — sie alle arbeiten auf ihre eigene Weise daran, Wuppertal nach vorne zu bringen, etwas auf die Beine zu stellen. Wenn es die Politik schafft, vielen dieser Engagierten den nötigen Raum zu geben, ein Klima zu schaffen, dass sie ihre Energie entfalten und in ein produktives Miteinander bringen können, dann ist genau das die Stärke Wuppertals. Und je mehr Regisseurinnen und Regisseure es gibt, die diese Stadt inszenieren, um so spannender werden die Stücke.

Rundschau: Wie wirkt sich denn so ein neues Zentrum auf die anderen Stadtteile aus?

Schneidewind: Auf ganz Elberfeld wird es unmittelbar ausstrahlen und mit den anderen Kraftzentren in Elberfeld in Beziehung treten. Insbesondere mit dem Bahnhof Mirke, der ja in ein interessantes Spannungsverhältnis zum klassischen Verkehrs- und kommerziellen Knotenpunkt am neuen Döppersberg tritt — und genau macht das künftige Elberfeld so lebenswert. Denn am Mirker Bahnhof trifft die Nordbahntrasse als Ausdruck von bürgerschaftlichem Engagement und einer neuen Mobilitätskultur in Wuppertal auf die Engagierten der "Utopiastadt", die ein Musterbeispiel dessen sind, was den Esprit Wuppertals ausmacht. Dieser Elan kommt von unten, angetrieben von engagierten Menschen: Ein Labor für Ideen, das mit seinen vielen Initiativen ebenfalls stadtweite Akzente setzt.
Fühlt man sich im Osten der Stadt nicht abgehängt von diesem Boom?
Da liegt eine Herausforderung, das stimmt. Aber auch in Wichlinghausen und Oberbarmen bewegt sich vieles. Die Nordbahntrasse hat auch hier Akzente gesetzt. Aber denken Sie genauso an die Quartiersentwicklung in Wichlinghausen, die "Färberei" oder die Wiederbelebung der Luhns-Fabrik. Wuppertal ist eine Stadt sozialer Gegensätze und kultureller Vielfalt. Das macht ihren Charme aus und hat auch historisch immer wieder zu Lösungen geführt, die Gegensätze zu versöhnen. Und daher muss auch für die künftige Entwicklung als Leitlinie gelten: Die Stadt ist für euch alle da — ihr könnt an allem teilnehmen, was sie bietet. Wenn das gelingt, kann es ein Markenzeichen der Stadt sein.

Rundschau: Was kann es also bedeuten, mehr Wuppertal zu wagen?

Schneidewind: Es kann dafür stehen, die Dinge neu zu denken, sich die Stadt zu erobern, selbst zu gestalten, kreative Lösungen zu suchen, sich immer wieder neu zu erfinden und zugleich auf Traditionen zu besinnen. Dann kann Neues entstehen. Und so ist Wuppertal.

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