Jobcenter-Vorstandsvorsitzender Thomas Lenz zur Situation der Flüchtlinge "Sie sind alle hochmotiviert"

Wuppertal · Die Mitarbeiter des Jobcenters Wuppertal stehen vor einer neuen Herausforderung: Flüchtlinge, deren Asylgesuch anerkannt ist, müssen fit für den ersten Arbeitsmarkt gemacht werden. Welche Probleme das mit sich bringt und wie sie gelöst werden sollen, erklärt Thomas Lenz im Gespräch mit Rundschau-Redakteurin Sabina Bartholomä.

 Thomas Lenz ist Vorstandsvorsitzender des Jobcenters Wuppertal.

Thomas Lenz ist Vorstandsvorsitzender des Jobcenters Wuppertal.

Foto: Jobcenter

Rundschau: Wie viele Flüchtlinge sind mittlerweile beim Jobcenter angekommen?

Lenz: Rund 900 so genannte geduldete Personen, deren Asylantrag bereits abgelehnt worden ist, die aber aus humanitären Gründen bleiben dürfen. Dazu kommen monatlich zwischen 200 und 400 anerkannte Asylbewerber, die meisten von ihnen sind Syrer. Im Oktober 2014 waren bei uns 460 Syrer registriert, jetzt sind es 1.448 alleine aus dieser Personengruppe und die Zahl wird weiter ansteigen. Denn wer anerkannt ist, darf seine Familie nachholen. Wir laufen uns gerade erst warm, denn wenn das Asylverfahren beschleunigt wird, kommen pro Jahr 2.000 bis 4.000 dazu.

Rundschau: Haben Sie vorher schon Erfahrungen mit Asylbewerbern sammeln können?

Lenz: Wenig, da kamen vielleicht eine Handvoll Menschen, die aber meist schon lange in Deutschland lebten, die Sprache beherrschten und in einem sozialen Umfeld eingebunden waren. Heute sind es traumatisierte Menschen, die zum Teil schreckliche Erfahrungen auf der Flucht gemacht haben, die Angst um ihre Familien haben, mit denen wir uns kaum verständigen können, trotz Dolmetscher, da viele nur bestimmte Dialekte beherrschen.

Rundschau: Wie sehen die beruflichen und schulischen Vorkenntnisse dieser Menschen aus?

Lenz: Sehr unterschiedlich, klar gibt es den syrischen Architekten oder die Ärztin, aber das ist die Ausnahme. Viele Flüchtlinge sind noch sehr jung. Diese Menschen haben die letzten Jahre unter Kriegsbedingungen gelebt, in Syrien gibt es kein funktionierendes Ausbildungs- oder Schulsystem mehr. Wer einen Abschluss oder einen Beruf erlernt hat, dem fehlen die Nachweise, die auf der Flucht verloren gegangen sind. Diese Klientel ist nicht nach einem Bewerbungstraining fit für den Arbeitsmarkt, dafür brauchen wir langfristige Maßnahmen und Sprachkurse.

Rundschau: Wo liegen die Stärken unserer neuen Mitbürger?

Lenz: Sie sind hochmotiviert, sehen seit Jahren erstmalig wieder eine sichere Lebensperspektive. Im Hinblick auf das Jahr 2020, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, sind sie die Chance für unseren Arbeitsmarkt. So können wir den drohenden Fachkräftemangel auffangen.

Rundschau: Wie werden Sie die neuen Herausforderungen stemmen?

Lenz: Am 1. Dezember eröffnen wir an der Neumarktstraße eine Beratungsstelle speziell für Flüchtlinge, die mit acht Mitarbeitern besetzt wird. Die haben sich für diese Aufgabe gemeldet und wollen hier helfen. Eigentlich haben wir das Personal dafür nicht, arbeiten praktisch mit einem ungedeckten Scheck. Meine Hoffnung ist, dass der Bund im Haushalt 2016 den Kommunen dafür die Mittel bereit stellt. Wenn man in wenigen Tagen eine Gesetzesänderung durchsetzt, die das Asylrecht verschärft, muss es auch möglich sein, genauso schnell das Antragsverfahren auf Leistungen für die Flüchtlinge zu vereinfachen.

Rundschau: Welche Qualifizierungsmaßnahmen sind geplant?

Lenz: Mit Quickies kommen wir nicht weiter, es wird nicht einfach, aber wir schaffen das. Wir müssen die Kompetenzen der Bewerber feststellen, sehen wo ihre Fähigkeiten liegen und darauf aufbauen. Viele Unternehmen und Handwerksbetriebe kommen auf uns zu, möchten Asylbewerber beschäftigen. Sicherlich die beste Möglichkeit der Integration, die jedoch viel Arbeit bedeutet. Bei den Weiterbildungsmaßnahmen bauen wir Sprachmodule ein, wir wollen diese Menschen nicht parken, bis sie einen Platz in einem Sprachkurs finden.

Rundschau: Warum bietet das Jobcenter nicht selber Sprachkurse an?

Lenz: Wir dürfen es nicht. Bisher sieht man den klassischen Arbeitslosen als einen Menschen an, der vorübergehen seinen Job verloren hat. Mit einigen Qualifizierungsmaßnahmen sollen wir ihn wieder fit für den ersten Arbeitsmarkt machen. Das funktioniert jedoch in vielen Fällen nicht. Für die Arbeit mit Flüchtlingen wünschen wir uns auch in dieser Beziehung Änderungen und Hilfe vom Bund, Module, die speziell auf die Bedürfnisse dieser Menschen zugeschnitten sind.

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