Starke Albert-Camus-Premiere im Theater am Engelsgarten Zimmer frei im Hotel Hölle

Wuppertal · Es gilt, siehe Programmheft, als Albert Camus’ erfolglosestes Stück: Das Wuppertaler Schauspiel macht aus „Das Missverständnis“ im Theater am Engelsgarten ein Existenzialismus-Kammerspiel mit echtem Tragödien-Potenzial.

 Wie harmlos sie wirkt – und ist es doch kein bisschen: Lena Vogt als Martha in „Das Missverständnis“.

Wie harmlos sie wirkt – und ist es doch kein bisschen: Lena Vogt als Martha in „Das Missverständnis“.

Foto: Uwe Schinkel

Das angestaubte Hotel, das Martha (Lena Vogt) und ihre Mutter (Julia Wolff) irgendwo im Nirgendwo betreiben, hat Bühnenbildnerin Anne Manss als verwinkelte Puppenstube aufgebaut. Doch hier stimmt nichts: Die beiden Frauen ermorden seit Jahren reiche (männliche) Gäste durch Schlafgift-Tee und anschließendes Ertränken im Fluss. Das so erbeutete Geld soll Tochter Marias Sehnsucht nach dem Leben in der Sonne am Strand finanzieren. Und Mutter macht mit.

Von den Opfern hängen Polaroids an der Wand. Zehn Stück. Dann kommt Nr. 11: Aber Jan (Konstantin Rickert) ist in Wahrheit Sohn und Bruder der beiden Mörderinnen, der vor 20 Jahren hinaus zog in die Welt. Nun ist er zurück (gegen den Willen seiner Frau Maria, die anfangs auch von Lena Vogt gespielt wird), da er meint, zur Unterstützung der alten Mutter verpflichtet zu sein. Eine fatale Fehlentscheidung.

„Das Missverständnis“ (welch harmlos klingender Titel), das passiert, ist schnell erzählt: Weder erkennt die Mutter ihren Sohn, noch die Schwester ihren Bruder. Der allerdings gibt sich auch nicht zu erkennen. Als Jan beim Einchecken der Schwester anbietet, seine Meldezettelangaben per Reisepass zu überprüfen, lehnt sie ab. Das Duo bringt Jan um. Als Martha den Reisepass findet und darin blättert, enthüllt sich das Schreckliche.

Eine Schlüsselszene mit antiker Drama-Dimension: Oh, hätte sie doch vorher... Und, oh, hätte er doch etwas gesagt. Julia Wolff als Mutter, die den Pass nun auch zu sehen bekommt, erreicht hier den Höhepunkt einer großartigen Darstellung: Fast eine Lady Macbeth, die sich (vergeblich) das unsichtbare Blut abwaschen will.

Das 100-Minuten-Stück, das Martin Kindervater inszeniert hat, kommt etwas schwer in Gang, packt aber dann brutal zu. Lena Vogts Eiseskälte macht Angst: Wie abweisend, zurechtweisend, fremd sie Jan gegenüber ist, der vorsichtige Andeutungen versucht. Wenige Minuten lang ist sie zwar zu beinahe liebespaar-ähnlicher Nähe fähig, um kurz darauf den Todes-Tee zu servieren. Brutal dominiert sie ihre Mutter, zauberhaft singt sie bei einer grotesken Hotel-Party ein japanisches Schmuse-Pop-Lied. Das Schicksal in diesem Hotel, das in Wahrheit eine Hölle ist, nimmt seinen Lauf – trägt Marthas Namen. Großer Applaus für Lena Vogt.

Konstantin Rickert kann dagegen nicht an: Der liebe Sohn und Bruder ist begraben unter dem mächtigen Schatten der beiden Frauen.

Eine Seltenheit: Hans Richter als alter Knecht fast ganz ohne Text, aber mit schrägem Tom-Waits-Flair am Klavier.

Ein starkes Stück Theater am Engelsarten!

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