Prozess in Wuppertal Der psychiatrische Gutachter und eine neue Erfahrung

Wuppertal · Er hatte die Angeklagte schon vor Prozessbeginn für schuldunfähig gehalten und dem Gericht damit die juristische Vorlage geliefert, um sie nach der Tat in die Psychiatrie einzuweisen. Im Prozess gegen eine 47-Jährige Wuppertalerin, die im Februar beim Bezirkssozialdienst Uellendahl ihren Ex-Mann und eine Sozialarbeiterin mit dem Messer angegriffen und schwer verletzt hatte, wurde nun der psychiatrische Gutachter Prof. Dr. Pedro Faustmann gehört.

 Die Angeklagte mit ihrem Anwalt.

Die Angeklagte mit ihrem Anwalt.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Seine Einschätzung, mit erheblicher Bedeutung für das zu fällende Urteil und den dauerhaften Verbleib der Angeklagten in der Psychiatrie: Von ihr gehe auch zukünftig eine Gefahr aus und es könne zu Wiederholungstaten kommen. Allerdings nur inmitten des „toxischen“ Gefüges familiärer Sorgerechtsstreitigkeiten, in das die 47-Jährige jahrelang verstrickt gewesen sei und in das sie auch das Jugendamt einbezogen habe. Dass man sich keiner kriminellen Psychopathin gegenübersah, sondern einer in ohnmächtiger Verzweiflung gefangenen Frau, die sich selbst als ein Opfer wahrgenommen habe und zur Täterin geworden sei: Das ist Faustmanns empathischen und klaren Worten zu verdanken. Erwarten durfte man das nicht, die Angeklagte hatte sich seiner Begutachtung verweigert. So wie sie das auch schon in den Jahren zuvor getan hatte, als Familiengerichte ihr Seelenleben hatten offen legen lassen wollen. Sprechen wollte sie über das selbst Erlebte damals nicht – und damit begannen für die Angeklagte die Probleme.

In der eigenen Kindheit sexuellem Missbrauch ausgesetzt, galt sie aus psychiatrischer Sicht als überfürsorgliche Mutter. Was andernorts als „Helikoptern“ abgetan worden wäre, gipfelte inmitten eines „Rosenkriegs“ beim Kindsvater und den damit befassten Behörden in der Befürchtung, dass ein erweiterter Suizid von Mutter und Kind drohe. Bestätigt hat das bislang niemand, auch nicht der nun mit dem Fall befasste Gerichtsgutachter. Weil sich die Kindsmutter mit der Tochter zurückgezogen und der Kontrolle durch das Jugendamtes entzogen hatte, fanden dort Krisengespräche statt. Gutachtern und Behörden bleibt in solchen Fällen nichts anderes, als Aktenlagen weiterzureichen und im nächsten Gutachten fortzuschreiben. Am Ende konnte und wollte beim Bezirkssozialdienst offenbar keiner mehr die Verantwortung für etwas übernehmen, von dem man nicht wusste, wo es enden würde.

Das Kind wurde aus der Wohnung der Mutter in Obhut genommen und dass war aus gutachterlicher Sicht der Moment, in dem deren Seelenlage aus dem Lot geriet. Auch hier ist es dem psychologischen Feingefühl von Pedro Faustmann zu verdanken, dass der vermeintliche Wahn der Kindsmutter in ein anderes Licht gerückt wurde. Wer ein frühkindliches Trauma erlitten habe, nehme die Umwelt besonders sensibel und auch schneller als feindselig war. Ohne die Konflikte mit dem Ex-Mann und den Behörden wäre ein solches Krankheitsbild gänzlich unbemerkt geblieben. „Auch das gehört zur Wahrheit dieses Falles“, stellte Faustmann klar.

Ist das noch normal oder drohen psychiatrische Eskalationen? Im Schatten dieser Frage lässt der Prozess auch eines deutlich werden: Wer sich psychiatrischen Begutachtungen verweigert, steht am Ende dennoch mit einer Diagnose da. Im Falle der 47-Jährigen steht nun in dem Arztbrief, der an der entscheidenden Stelle offenbar nicht leer bleiben darf: Wahnhafte Störung. So erst kürzlich, und notgedrungen aus der Distanz zu einer sich verweigernden Patientin heraus diagnostiziert in der Forensik in Bedburg-Hau, in der die Angeklagte seit der Tat untergebracht ist.

Eines der ersten Gutachten im jahrelang schwelenden Sorgerechtsstreit war 2011 im Auftrag des Familiengerichts erstellt worden - es scheint die Basis für vieles gewesen zu sein, was danach folgte. Der Tenor las sich damals so: Realitätsverlust und wahnhafte Züge bei der Angeklagten, die eigene Missbrauchserfahrungen auf die Tochter projiziere. Wohlgemerkt, und das hat die als Zeugin geladene Gutachterin nun auch dem Gericht bestätigt: Eine psychiatrische Diagnose zu fixieren - das sei damals gar nicht ihre Aufgabe gewesen. Getan hat sie es offenbar dennoch - und so die Aktenlage entscheidend mitgeprägt, auf die danach immer wieder zurückgegriffen worden war.

Auch dem Gerichtsgutachter blieb nun letztlich keine andere Möglichkeit, als eine Beurteilung nach Aktenlage abzugeben. Die meisten der vor ihm mit dem Fall befassten Kollegen hatten im Prozessverlauf zwar viel über die Angeklagte gesagt, aber nur wenig mit ihr gesprochen. Dass die 47-Jährige in der forensischen Psychiatrie untergebracht ist, sieht Pedro Faustmann auch als Chance. Aus all dem, was ihm von dort berichtet worden sei, sehe es so aus, als würde sie damit beginnen, dem einen oder anderen zu vertrauen. Das sie auch ein Psychiater auf diese Weise wahrnehmen kann, scheint für die Angeklagte eine neue Erfahrung gewesen zu sein: Für einen Moment wich deren verzweifelter Blick einem Lächeln.

Der Prozess wird fortgesetzt, im Januar will die Kammer ihr Urteil verkünden.

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