Porträt des Saxophonisten Peter Brötzmann "Er ist immer nur er selbst"

Wuppertal · "Das Leben ist eine lange Reise und auf dieser Reise kommt es letztlich darauf an, dass man irgendwann erkennt, wer man ist." Dies sagt Peter Brötzmann, der am 6. März 2016 75 Jahre alt wird. Wolfgang Schmidtke, selbst ein Urgestein des Wuppertaler Jazz, porträtiert den weltberühmten Saxophonisten.

 Peter Brötzmann (li.) und unser Autor Wolfgang Schmidtke, hier in seinem verwunschenen Garten im Luisenviertel, verstehen sich nicht nur auf musikalischer Ebene gut.

Peter Brötzmann (li.) und unser Autor Wolfgang Schmidtke, hier in seinem verwunschenen Garten im Luisenviertel, verstehen sich nicht nur auf musikalischer Ebene gut.

Foto: Süleyman Kayaalp

In der Regel haben die meisten Zeitgenossen dann schon zehn Jahre eines friedvollen 'Lebensabends' hinter sich. Nun, dies sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt, aber wer sich Brötzmanns Tourneeplan allein in den kommenden drei Monaten anschaut, ahnt, dass diese Reise noch längst nicht vorbei ist. Bis Ende April geht es nach Finnland, Schweden, England, Portugal, Polen, Russland, Norwegen, Dänemark, Österreich. Im Mai folgt dann eine ausgedehnte Tour in die USA.

Einerseits liebt der unstrittig wichtigste Repräsentant des europäischen Free Jazz das Reiseleben, andererseits bekennt er: "Jedes Jahr nehme ich mir vor -‘diesmal reist Du weniger‘- und letztendlich wird es immer mehr. Ich komme gar nicht mehr dazu, mal spazieren zu gehen, oder auch mal gar nichts zu tun." Und das Spazierengehen in den heimischen Wäldern ist dem nimmermüden Avantgardisten durchaus angenehm. Auch sein seit Jahrzehnten bewohntes Domizil in der Obergrünewalder Straße ist ihm ausgesprochen lieb. Wer es besucht, versteht das sofort, denn die Kombination von zentraler Lage und geradezu verwunschen romantischem Garten ist wundervoll.

Mehr Großstadt braucht er privat nicht und meint verschmitzt: " Ich habe in der direkten Nachbarschaft drei Flughäfen, komme also überall hin. Ohne unseren Sch... Bahnhof wäre es doch großartig hier..."

Einen weiten Weg ist Peter Brötzmann gegangen, seit er Anfang der 1960er Jahre anfing, sich für Jazz zu interessieren. Und so weit wie er ist nur eine Handvoll anderer Musiker aus Europa gekommen. Liest man, was über ihn geschrieben wurde, ist immer von Radikalität, Kompromisslosigkeit, Eigensinn und einer gnadenlosen Energie die Rede. Nie hatte er Probleme damit, viel von dem zu ignorieren, was andere für unverzichtbare Grundbausteine der Jazzmusik halten. Brötzmann hält sich nicht damit auf, alle Standards von "Honeysuckle Rose" über "All The Things You Are" bis zu "Maiden Voyage" nachzubeten.

Er kreiert auch keine Bands, in denen hinten Schlagzeug und Bass knechten und vorn ein Solist brilliert. Von Anfang an, war er immer daran interessiert, seinen eigenen Weg zu finden, eben diese Reise anzutreten, auf der man (vielleicht) erkennt, wer man ist. Und bei einem 75. Geburtstag darf man ruhig schon mal das Stück gegangenen Wegs zurück schauen und feststellen, dass er ganz einfach in all den Jahren sehr viel richtig gemacht hat.

Wenn es in der Welt des Jazz eine Qualität gibt, die wichtiger ist, als alles andere, dann ist das Individualität. Letzten Endes zählt nämlich nur die, und deshalb schafft es Peter Brötzmann wie kaum ein zweiter europäischer Musiker, in New York die Clubs zu füllen. Auch dort registriert man seit langem, dass der Mann aus Wuppertal mit einer Wahnsinnskonsequenz dieses eine, eigene Ding spielt. Zwar tauchen auf der deutschen Szene immer wieder mal Typen auf, die mit solider Technik, gut gestylt und mit dem Know How einer Plattenfirma im Rücken für ein paar Jahre dafür gehypt werden, angeblich den Jazz neu zu beleben (meist nehmen sie dafür auch noch eine cd mit "jazzigen" Weihnachtsliedern auf) — aber das überlebt sich immer recht schnell und außerhalb der Republik interessiert es niemanden.

Brötzmann dagegen bleibt eine konstante Größe und ist — er möge die Formulierung verzeihen — längst ein wichtiges Kapitel in der Musikgeschichte geworden. Ich erinnere mich an ganze Generationen von Jazzstudenten, die schier daran verzweifelt sind, weshalb dieses bergische Urgestein in der ganzen Welt gefeiert wird und sie, mit ihrer ausgefeilten Repertoirekenntnis, kaum mal die Möglichkeit finden, auch nur regional ein Konzert zu spielen.

Dabei war das Geheimnis so einfach: Peter Brötzmann tut das, was vor ihm Charlie Parker, Miles Davis und John Coltrane auch getan haben, er ist ganz einfach immer nur er selbst. Das haben mittlerweile die nachgewachsenen Generationen verstanden. Und in der großartigen Liga der jetzt so um die 30-Jährigen gibt es einen musikalischen Lebensweg, den die jungen Meister besonders achtungsvoll verehren — wer ist das wohl?

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