Was tun gegen islamischen Extremismus? „Mit Religion nicht viel zu tun“

Wuppertal · Es sind Fragen, die gerade Eltern von jungen Menschen beschäftigen: Was treibt Jugendliche in die Arme islamistischer Scharfmacher? Warum radikalisieren sie sich und lassen, angeblich alles im Namen Gottes, ihr Leben in Selbstmordattentaten und versuchen dabei, noch viele unschuldige Menschenleben zu zerstören?

 Extremisten bieten keine Religion an, sondern Ideologien, sagt der israelisch-arabische Psychologe Ahmad Mansour.

Extremisten bieten keine Religion an, sondern Ideologien, sagt der israelisch-arabische Psychologe Ahmad Mansour.

Foto: Urssu

Es sind Fragen, die gerade Eltern von jungen Menschen beschäftigen: Was treibt Jugendliche in die Arme islamistischer Scharfmacher? Warum radikalisieren sie sich und lassen, angeblich alles im Namen Gottes, ihr Leben in Selbstmordattentaten und versuchen dabei, noch viele unschuldige Menschenleben zu zerstören?

Einen Erklärungsversuch hat die Alevitische Gemeinde in Wuppertal mit einer Bildungsveranstaltung und anschließender Podiumsdiskussion zum Thema "Religiöse Radikalisierung in Deutschland: Was tut die Stadt Wuppertal, um die Jugendlichen zu schützen?" geliefert.

Dazu hatte sie Oberbürgermeister Andrea Mucke, Sozialdezernent Stefan Kühn und Ahmad Mansour eingeladen. Letzterer ist israelisch-arabischer Psychologe und ein Kenner des Salafismus. "Ich bin während meiner Schulzeit von einem fundamentalistischen Imam angeworben worden", erklärt Mansour, der, wie er weiter sagt, diese Aufmerksamkeit und die damit verbundene Anerkennung anfangs sehr genossen habe. Zudem hat ihn die Zuwendung zu radikalen Strömungen in die Lage versetzt, Druck auf muslimische Mitmenschen auszuüben.

"Ich bin morgens früh aufgestanden, und habe diese Macht gehabt, anderen vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Ich durfte ihnen sagen, wie sie sich zu kleiden und zu verhalten hatten. Das hatte aber mit Religion nicht viel zu tun." Ahmad Mansour legte in seinem Impulsvortrag Ergebnisse zahlreicher Befragungen mit jungen Menschen vor, die sich, ähnlich wie er selbst, radikalisiert haben.

"Es ging ihnen meist nicht um Religion. Fundamentalisten können auch keine Religion anbieten, sondern nur Ideologien. Viele haben sich in einer bestimmten Lebensphase einfach unverstanden und von der Gesellschaft ausgestoßen gefühlt. Und da kommt dann plötzlich jemand, der den Jugendlichen Halt und Struktur geben möchte und selbst auf noch so komplexe Fragen ganz einfache Lösung hat."

Diese Form von Populismus funktioniert besonders gut im Internet. Hier sieht Ahmad Mansour auch das größte Defizit der Informationsstrategien von religiösen Verbänden und Behörden: "Man darf das Feld nicht den Extremisten überlassen. Wir müssen konstruktiv auf die Menschen zugehen und sie ernst nehmen." Ernst nehmen dieses Thema auch die Mitglieder der Alevitischen Gemeinde Wuppertal, nicht zuletzt Onur Coskun, stellvertretender Vorsitzender der Gemeinde. "Wir möchten wissen, wie die Radikalisierung geschieht und wie man sich und andere davor schützen kann", sagt Coskun.

Hierzu empfiehlt Wuppertal Sozialdezernent Stefan Kühn einen offenen Umgang der Kulturen und Religionen untereinander: "Wir brauchen aber keine Projekte speziell für Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund. Wir brauchen generell eine Gesellschaft der Perspektiven." Eine Patentlösung gibt es seiner Meinung nach aber auch nicht. Vielmehr müsse man in Schulen und Freizeitangeboten eine Kultur des Vertrauens schaffen, damit Rattenfänger erst gar keine Chance bekommen.

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