Theater am Engelsgarten "Metapher der Theaterliteratur"

Wuppertal · Regisseur Volker Schmalöer inszeniert im Theater am Engelsgarten Samuel Becketts Stück "Warten auf Godot". Was hat die Titanic damit zu tun? Lesen Sie selbst ...

 Unser Foto zeigt Stefan Walz (Wladimir), Alexander Peiler (Estragon), Lukas Mundas (Lucky) und Miko Greza (Pozzo).

Unser Foto zeigt Stefan Walz (Wladimir), Alexander Peiler (Estragon), Lukas Mundas (Lucky) und Miko Greza (Pozzo).

Foto: Claudia Kempf

"Eigentlich lässt sich das Stück wie eine Partitur lesen, die Abfolge von Text und Stille sind genau festgelegt und wurden im Laufe der Jahre und unzähliger Aufführungen nie verändert. Darüber wachen die Erben Becketts sehr streng", berichtet Regisseur Volker Schmalöer über Becketts "Warten auf Godot". Die Proben sind bereits in der Endphase, Premiere ist am Samstag. Becketts Endzeitdrama ist damit die letzte Arbeit unter der Intendanz von Susanne Abbrederis.

Als Samuel Beckett, der während der Nazi-Diktatur in der französischen Résistance kämpfte und fliehen musste, "Godot" schrieb, lag Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern. Sein Stück zeigt eine Welt nach der Katastrophe, ohne Zeit und ohne Ort. Zwei Landstreicher, Wladimir und Estragon warten auf Godot, den sie nicht kennen, von dem sie nichts wissen, von dem sie sich jedoch Erlösung erhoffen. Zum Zeitvertreib erfinden sie immer neue Spiele, sie reden miteinander, streiten, vertragen sich wieder. Zu ihnen gesellen sich Pozzo, der Herr, und sein Diener Lucky, die sich auf der Durchreise befinden. Sie sind der Zeit ausgesetzt, denn Zeit ist Geld und sie dürfen nicht stillstehen.

"Beckets Figuren haben keine Vergangenheit und keine Zukunft, sie haben nur die Gegenwart. So lange sie spielen, leben sie, also spielen sie immer weiter. Es geht ihnen darum, ihre Lebenszeit zu füllen. Als junger Regisseur war ich ganz scharf auf der Stück, jetzt hat sich mein Verhältnis zum Text verändert, sehe ich auch seine komischen Seiten. Es ist schon genial, wie Beckett bei einer derart düsteren Sicht auf die Welt noch so witzig sein kann. Es ist das einzige Stück, das ich inszeniert habe, das ohne Frauen auskommt, in dem die Themen Liebe und Fortpflanzung keine Rolle spielen. Die Qualität des Stücks liegt in seiner Zeitlosigkeit und handelt doch von der Zeit, die uns zwischen Geburt und Tod bleibt, der Lauf des Lebens wird thematisiert. Es hat davor und danach nie mehr so ein Stück gegeben und gehört zu den großen Metaphern der Theaterliteratur", schwärmt Volker Schmalöer.

Üblich sind als Bühnenbild eine triste Landstraße, die ins Nirgendwo führt und ein Baum, doch davon weicht Bühnen- und Kostümbildner Michael Lindner in Wuppertal ab. "Wir haben bei der Gestaltung an den Untergang der Titanic gedacht, von dem erzählt wird, dass das Orchester bis zum Ende weiter gespielt hat. Es wird ein Objekt auf der Bühne geben, mit dem wir die Zeit sichtbar machen wollen, mehr möchte ich hier noch nicht verraten", macht Lindner neugierig.

Beckett selbst hat die Frage, wer oder was "Godot" ist, nie beantwortet, war entsetzt, als Brecht den Text zu einem politischen Werk umfunktionieren wollte. Heute nimmt die Literaturwissenschaft an, dass Wladimir und Estragon jüdische Résistancemitglieder sind, die auf einen Schleuser warten, der sie in Sicherheit bringt. "Aber vielleicht sind es auch die Menschen, die wir heute im Mittelmeer untergehen lassen", holt Volker Schmalöer, der besonders mit seinen psychologisch genauen Klassiker-Inszenierungen überregionale Bedeutung erlangte, Becketts Werk in die Gegenwart.

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