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Ex-Intendantin will ihren Job zurück (aktualisierte Fassung): Gerichtssaal statt großer Bühne

Ex-Intendantin will ihren Job zurück (aktualisierte Fassung) : Gerichtssaal statt großer Bühne

Das Tanztheater Pina Bausch fand sich am Dienstag (4. September 2018) im Arbeitsgericht wieder. Die Tänzer in den Zuschauerreihen, ihre Intendantin Adolphe Binder in der Rolle der Klägerin. Eine Beobachtung eines undurchsichtigen Streits, der in einem Prozess mündet und dessen Schaden noch nicht absehbar ist.

Im Juli hatte man der Intendantin des Tanztheaters Wuppertal, Adolphe Binder, fristlos gekündigt. Am Dienstag trafen sich Binder und der Prokurist des Tanztheaters, Christoph Fries, zu einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht. Auch einige Tänzer waren zur Verhandlung gekommen. Ergebnis: keins. Eindrücke: viele.

Versteinerte Mienen, betretene Gesichter. Skeptische Blicke, ernste Gespräche. Die Anspannung war deutlich spürbar, als die rund zehn Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheaters Wuppertal am Dienstag vor dem Gerichtssaal warteten. Sie waren gekommen, um sich in der Verhandlung um die fristlose Kündigung ihrer Intendantin Adolphe Binder selbst ein Bild zu machen, erklären einige vor dem Gerichtsaal. Im Juli waren sie von der Entwicklung in Wuppertal überrascht worden, als sie zu einem längeren Gastspiel in Paris waren.

 Adolphe Binder und ihr Anwalt Ernst Eisenbeis.
Adolphe Binder und ihr Anwalt Ernst Eisenbeis. Foto: Mikko Schümmelfeder

Viele Erklärungen haben sie seither nicht bekommen, was eigentlich vorgefallen war. Es gab Gerüchte, Medienberichte, Widersprüche. Bis heute gibt es niemanden, der übergangsweise das Ensemble künstlerisch leitet und betreut. Einen offiziellen Spielplan kennen auch die Tänzer nur bis Ende des Jahres. Das ist der, den Adolphe Binder ihrer Zeit erstellt hatte. Und zugleich der, den Geschäftsführer Dirk Hesse für nicht ausreichend hielt - der Kernvorwurf der Kündigung. Und so hatten sie viele Fragen, als sie den kleinen Saal im Amtsgericht am Mittag betraten.

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Adolphe Binder begrüßte die Tänzer, suchte auch später immer wieder Blickkontakt mit ihnen. Prokurist Christoph Fries, der Geschäftsführer Dirk Hesse vertrat, schaute nur selten in die Zuschauerreihen. Er blickte auf seine Anwältin, knetete immer wieder nervös die Hände. Hesse, der am Wochenende noch gemeinsam mit Oberbürgermeister Andreas Mucke und Stadtdirektor Johannes Slawig das Festival "Tanz im August" in Berlin besucht hatte, war, so hieß es, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, am Termin teilzunehmen. Richter Carsten Gironda ließ die Anwälte vortragen. Punkt um Punkt.

 Christoph Fries, Prokurist des Tanzteaters und die Anwältin Silke Allerdissen.
Christoph Fries, Prokurist des Tanzteaters und die Anwältin Silke Allerdissen. Foto: Mikko Schümmelfeder

Sie habe keinen brauchen Spielplan vorgelegt, sagt Silke Allerdissen, Anwältin des Tanztheaters. Lediglich einen Grobentwurf, aus dem sich keine Finanzplanung ableiten lasse. Ernst Eisenbeis, Anwalt von Adolphe Binder, sagt, sie habe zu den strittigen Punkten Anmerkungen gemacht, die jedoch stets ignoriert wurden. Zu einer weiteren Kommunikation über den Spielplan sei es nie gekommen, da Termine von Seiten der Geschäftsführung fortan abgesagt wurden. "Wir haben fast zwei Jahre an dem Spielplan gearbeitet und es waren verschiedene Mitarbeiter daran beteiligt. So ein Spielplan ist Teamwork. Zum Problem wurde er erst, als ich die Angebote für eine Auflösung des Vertrags abgelehnt habe", erklärt Binder.

Allerdissen sagt, Binder habe Leitungsstrukturen nicht akzeptiert. Zudem habe es einige Beschwerden von Mitarbeitern über Binder gegeben. So habe sich etwa Robert Sturm (Künstlerische Administration) an den Geschäftsführer gewandt, weil er mit Adolphe Binder nicht zusammenarbeiten könne. Eisenbeis sagt, das Gegenteil sei der Fall gewesen. Binder habe von Anfang an Regeln über eine Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung eingefordert. Allerdissen sagt, die Mobbing-Vorwürfe ihres vorherigen Arbeitgebers in Göteborg haben von Anfang an das Verhältnis in Wuppertal belastet. Sie sagt, das Thema sei dem Tanztheater vor Vertragsabschluss bekannt gewesen, man habe darin kein Problem gesehen. Mehr noch, die Stadt habe ihr von einer öffentlichen Stellungnahme damals abgeraten. Allerdissen sagt, Binder habe eine Mediation abgebrochen, die die Unstimmigkeiten klären sollte. Eisenbeis sagt, es habe sich dabei nicht um eine Mediatorin, sondern um eine Unternehmensberaterin gehandelt, das habe seine Mandantin kritisch gesehen. Allerdissen sagt, man habe versucht eine einvernehmliche Lösung zu finden und Binder ein Jahresgehalt als Abfindung angeboten. Eisenbeis sagt, Binder will ihren Job zurück, der immerhin vertraglich auf fünf Jahre angelegt war — mit der Option auf Verlängerung. "Eine Lebensstellung", wie ihr Anwalt beschrieb.

Eines machten die rund 45 Minuten des Gütetermins aber mehr als deutlich: Dort saßen sich zwei Parteien gegenüber, die in allen Punkten denkbar weit auseinanderliegen. Das konstatierte auch Richter Carsten Gironda: "Wenn man das alles liest, dann hat es die ganze Zeit zwischen ihnen geknirscht." Und: "Hier geht es um Grundlegendes." Losgelöst der juristischen, stelle sich ihm vor allem die Frage, wie es hier weitergehen könne. "Ist es überhaupt möglich, dass Sie Ihre Arbeit dort fortsetzen", fragte Gironda in Richtung Adolphe Binder. "Und unter welchen Bedingungen könnte man sich das wohl vorstellen?" Der Arbeitsrichter regte daher ein so genanntes Güterichterverfahren an. Darunter versteht man eine richterliche Mediation zwischen den Parteien unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Findet man auch hier nicht zueinander, dann wird der Kündigungsschutzprozess öffentlich fortgesetzt und Beweis erhoben, sprich Zeugen gehört und Dokumente angesehen. Beide haben nun 14 Tage Zeit über den Vorschlag nachzudenken.

Für Binder, die auch persönlich vor Gericht ihre Haltung deutlich machte, geht es in diesem Verfahren um viel. Sie will ihren Job zurück — und ihren Ruf. Letzteres wird sie vermutlich vor allem dann erreichen, wenn die Vorwürfe öffentlich aufgearbeitet werden. Sie sieht jedenfalls kein Problem darin, ihre Arbeit mit der Compagnie fortzusetzen. "Ich habe eine starke Verbundenheit mit den Tänzern und würde mich über eine Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit sehr freuen", erklärte die 49-Jährige nach der Verhandlung. Ob es rückblickend ein Fehler war, den Vertrag so akzeptiert zu haben, der keine gültige Geschäftsordnung beinhaltete und sie als künstlerische Intendantin dem Geschäftsführer derart unterordnete? Binder schüttelt den Kopf. "Nein", sagt sie, "so losgelöst kann man das nicht sehen. Ich würde nichts von all dem missen wollen, so schmerzhaft die letzten Wochen auch waren. Das war ein ganz großes Geschenk, mit diesen Tänzern zu arbeiten."

Silke Allerdissen betonte auf Nachfrage, das Tanztheater habe ein großes Interesse an einer einvernehmlichen Lösung. "Ich kann mir vorstellen, dem Güterichterverfahren zuzustimmen. Wichtig ist es, jetzt möglichst viel Schaden vom Tanztheater abzuwenden." Warum diese Überlegung nicht früher erfolgt ist, bleibt bis heute offen.

Wegen der vielen Fragezeichen in der Sache hat auch der Dachverband Tanz inzwischen einen Fragenkatalog zu Motiven, Handhabung und Folgen der Kündigung von Adolphe Binder an Oberbürgermeister Andreas Mucke geschickt.

Unterdessen hat das Tanztheater heute (5. September 2018) über den Vorverkauf eines weiteren Stücks in Wuppertal informiert. Nach der Spielzeiteröffnung mit "Vollmond" (13. bis 16. September) "präsentiert das Tanztheater Wuppertal im November als besonderes Highlight ,Café Müller' (UA 1978) und ,Das Frühlingsopfer' (UA 1975) mit dem Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Henrik Schaefer", heißt es in der Pressemitteilung. Zum ersten Mal seit Bestehen des Tanztheaters sei "Café Müller" in Wuppertal mit Musik von Henry Purcell mit Orchester und Gesangssolisten - Marie Heeschen (Sopran) und Lukas Jakobski (Bass) - zu sehen. Auch dies ein Punkt aus dem Spielplan von Adolphe Binder. Ein vollständiger Spielplan für die aktuelle Spielzeit 2018/19, wie der Beirat ihn vor der Sommerpause von Geschäftsführer Dirk Hesse bis September eingefordert hatte, wurde bislang nicht veröffentlicht.