Weltfrauentag Bitte keine gönnerhaften Gesten!

Wuppertal · Ein Kommentar über Chancengleichheit.

Bitte keine gönnerhaften Gesten!
Foto: Wuppertaler Rundschau/Bettina Osswald

Na verehrte Leserin, hat man Ihnen heute gratuliert? Ihnen gar Blumen geschenkt oder im Drogeriemarkt Rabatt gewährt auf Putz- oder Pflegeartikel, für die Sie ohnehin mehr zahlen als Ihr Mann, Sohn oder Bruder? Oder hat Ihnen Ihr Chef ein paar warme Worte mit in den Tag gegeben, dass Sie ja wirklich eine gleichwertige Mitarbeiterin für ihn sind, also fast wie Ihre männlichen Kollegen – auch wenn Sie, Schwamm drüber! – deutlich weniger verdienen als diese?

Wundern Sie sich nicht, es war immerhin Weltfrauentag. Und da verziehen manche schon beim bloßen Wort ähnlich den Mund wie bei „Feminismus“. Und zwar nicht nur Männer. Klar, beides klingt schrecklich humorbefreit, furchtbar angestrengt nach Political Correctness und einfach unsexy. Und weil die meisten Männer genau das an Frauen so gar nicht mögen, wollen viele Frauen das eben auch lieber nicht sein. Manche sehen auch im Tag selbst bereits eine Diskriminierung und finden, er gehört abgeschafft.

Stimmt alles. Und ja, es wäre toll, wenn es weder den Weltfrauentag, noch eine Frauenquote oder den Feminismus geben müsste. Einfach weil es keine Notwendigkeit dafür gäbe. Weil Frauen genau so viel verdienen wie Männer, weil sie genau so oft Chefposten bekleiden und Beruf und Familie sich bestens verbinden lassen. Weil sie an wichtigen Schaltstellen in Politik, Wirtschaft und Kultur sitzen und sich so für ihre Belange einsetzen können. Weil sie sich nicht geben müssen wie Männer, um im Beruf erfolgreich zu sein, weil man erkannt hat, dass Frauen mit ihrem Wertesystem eine Bereicherung sind – für ein Unternehmen ebenso wie für die Gesellschaft. Weil sie nicht primär über ihr Aussehen definiert werden und das weibliche Schönheitsideal auch nicht länger von Männern bestimmt wird.

Weil ältere Frauen nicht mehr plötzlich vom Bildschirm verschwinden, weil sie angeblich niemand sehen will, während man ältere Männer als vertrauenswürdig schätzt. Weil man ihnen erlaubt, Auseinandersetzungen zu führen und wütend zu sein, ohne sie anschließend hämisch als „zickig“ oder „stutenbissig“ abzuwerten. Weil es für Männer kein Problem mehr ist, endlich einen Teil ihrer Macht abzugeben, die sie nun Jahrhunderte lang für sich beanspruchen. Die Welt, in der wir leben, ist weder gerecht noch unveränderlich. Sie ist das Ergebnis langer Zeiten des Patriarchats. Dabei bilden Frauen mit rund 50 Prozent der Weltbevölkerung ja schließlich keine Minderheit oder Randgruppe. Gleichberechtigung müsste also selbstverständlich sein.

Die Zahlen sagen jedoch anderes: Nicht einmal auf jedem zehnten Vorstandssessel in den 200 größten Unternehmen in Deutschland sitzt eine Frau. Im Bundestag liegt der Frauenanteil bei knapp 31 Prozent. Frauen nehmen länger Elternzeit als Männer, arbeiten häufiger in Teilzeit, übernehmen den Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung, verdienen 21 Prozent weniger und sind deutlich öfter von Altersarmut betroffen. Weltweit stagniert die Gleichberechtigung, in einigen Bereichen wachse die Kluft sogar wieder, warnte das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seinem „Global Gender Gap Report 2018“. Gehe es in dieser Geschwindigkeit weiter, werde es noch 202 Jahre dauern, bis Männer und Frauen am Arbeitsplatz gleichgestellt sind …

Da können sich jetzt mal alle Kritiker fragen, ob sie noch so lange genervt werden wollen von diesem Weltfrauentag und vom Feminismus – oder ob sie alle mithelfen, damit es schneller geht und wir diesem Tag schlicht seine Berechtigung entziehen. Geben wir den Frauen die ihnen zustehenden 50 Prozent Macht und Einfluss – und das mit Gesetzen, Kindergartenplätzen und männlicher Solidarität.

Positive Signale kommen dieser Tage ausgerechnet aus dem Wuppertaler Rathaus. Sie wissen schon, dort wo unter den Dezernenten keine einzige Frau zu finden ist. Hier will man in den kommenden Jahren die Frauenquote bei den Ressort- und Amtsleitungen von 36 Prozent auf 50 Prozent steigern. Das lässt doch zumindest hoffen, dass den Ankündigungen auch Taten folgen und wir uns doch auf eine gleichberechtigte Gesellschaft zubewegen.

Und bis dahin liegt es ja an uns, ob wir diesen 8. März mit lächerlichen Rabattaktionen, staatstragenden Lobhudeleien, gönnerhaften Gesten und muttertaghaften Gefälligkeiten verschwenden und ob wir die restlichen 364 Tage protestlos hinnehmen, dass es Privilegien weiter einfach per Geschlecht gibt ...

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