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Top Magazin: Helge Lindh: Immer im Dienst

Top Magazin : Helge Lindh: Immer im Dienst

Seit Oktober sitzt Helge Lindh für die SPD im Bundestag. Genug Zeit, um sich einzurichten in der Hauptstadt. Um erste Lieblingscafés zu entdecken, einen Stammimbiss zu finden, die Bank in der Mittagspause oder die schönste Route nach Hause.

Eigentlich. Denn als unsere Mitarbeiterin Nicole Bolz den 41-Jährigen in Berlin besucht, kann der Politiker ihr nichts von alledem zeigen …

Wie er wohl lebt? Und wo? Das geht mir durch den Kopf, als ich auf dem Weg in Lindhs Büro unweit des Brandenburger Tors bin. In den letzten Wochen hatte der Wuppertaler mit seinen Reden gegen die AfD für Aufsehen gesorgt. Sogar die "Welt" teilte ein Video seiner Rede in den Sozialen Netzwerken. Er bezieht Position, zeigt klare Kante in den Begegnungen mit rechtem Gedankengut, scheut sich aber auch nicht davor, seiner eigenen Partei in Wuppertal mal die Leviten zu lesen. Für viele ist der Shootingstar ein echter Hoffnungsträger. Es ist ein Freitagnachmittag Ende April und die Frühlingssonne verleiht Berlin ein freundliches Gesicht. Ideales Wetter, um im Straßencafé zu plaudern. Lindh sitzt noch in seinem Büro und arbeitet.

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Der Vortag war stressig. Zwischen zwei Reden im Bundestag hatte er einen Auftritt in Michel Friedmanns TV-Sendung. Ankunft zu Hause deutlich nach Mitternacht. Schnell noch was holen im griechischen Imbiss ("Das war der einzige, der noch geöffnet hatte"). Wobei — zu Hause? "Ich habe zwar eine Wohnung in Kreuzberg, aber ich habe sie noch nicht bezogen", erzählt Helge Lindh und gießt Wasser ein. Statt in den eigenen vier Wänden, lebt er während der Sitzungswochen in Hotels. Wechselnd. "Ich hatte bisher kaum Zeit, mich einzuleben, pendele am Ende dieser Wochen nach Wuppertal." Denn dort ist sein Wahlkreis und auch dem will der ambitionierte Politiker gerecht werden. "Daher sehe ich hier wenig vom normalen Leben."

Und tatsächlich, das "normale Leben", es taucht in Lindhs Sätzen nicht auf. Leidenschaftlich spricht er von seinen Aufgaben, seinem Selbstverständnis als Politiker. Das hat der Sozialdemokrat ganz scharf gestellt. Aufregung vor der ersten Rede im Bundestag? "Ja klar. Aber ich werfe mich in sowas einfach rein", sagt er. Ob er sich durch die AfD besonders herausgefordert fühlt? "Durch sie sind die Debatten im Bundestag auf jeden Fall spannender geworden, haben sogar an Qualität gewonnen, denn man bereitet sich besser vor", so Lindh.

Doch seine Themen seien vielfältig, der Takt schnell. Am Abend noch bei Friedmann, wartet am Morgen ein Wuppertaler Genosse auf ihn. Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke ist angereist, um mit ihm und Kulturstaatsministerin Grütters über eine Finanzierung des Tanzzentrums Pina Bausch zu sprechen. Zeit für einen persönlichen Plausch blieb ihm so wenig wie für Restaurant- oder Theaterbesuche. Und doch wirkt er nicht, als vermisse er das wirklich. Vielmehr spürt man seinen Idealismus, seine so klare Vorstellung eines guten Politikers.

Das ist so beim Thema Lobbyisten. Da bekomme er viele Einladungen, könnte jeden Abend auf Partys sein, sich "durchfuttern". Und ja, es gäbe Kollegen, die das auch tun. Für ihn sei dies jedoch nichts. "Es ist wichtig, unabhängig zu bleiben", sagt er, "mich nicht vereinnahmen lassen." Und: "Wir sollten mehr für die Arbeiter da sein als für diese Scheinwelt."

Kein Umfeld, in dem sich der Wuppertaler wohl fühlt. Und da ist ja auch noch seine Heimat im Bergischen, für die er auch eine Verpflichtung spürt. "Ich will so oft ich kann da sein." Dann versucht der Abgeordnete seinen Wählern zu erklären, was er da eigentlich so macht, im fernen Berlin. "Ich versuche transparent zu machen, wie Entscheidungen getroffen werden, wie sie zustande gekommen sind. Dabei erlebe ich immer wieder Aha-Momente bei den Menschen. Es ist wichtig, dass sie das verstehen", erklärt Lindh. Auch bei Besuchergruppen im Bundestag sei es ihm wichtig, solche Entscheidungsprozesse zu verdeutlichen.

Apropos Besuchergruppen. Neulich habe er ein schönes Erlebnis gehabt, erzählt Helge Lindh amüsiert. Als er im Bundestag unterwegs war und an einer solcher Gruppen vorbeilief, da winkte ihm die Führerin fröhlich zu und rief: "Von Ihnen habe ich gerade erzählt. Sie sind der, der die tollen Reden hält." Über solche Komplimente und Begegnungen freut sich der studierte Germanist. Ebenso wie über den jungen Typ, der ihn kürzlich auf der Straße in Berlin angesprochen hat. "Du bist doch Helge Lindh, oder", habe er ihn gefragt. "Das war ein Wuppertaler, der mich wohl aus Videos und Zeitungsberichten kannte und sich freute, mich zu sehen. Das ist doch toll."

Wuppertal und Berlin — das passt für Lindh offenbar bestens. "Die Städte sind bei aller Unterschiedlichkeit für mich irgendwie verwandt. Wuppertal könnte auch ein Stadtteil von Berlin sein."

Während unseres Gesprächs steckt Lindhs Mitarbeiter immer wieder den Kopf rein, erinnert ihn an Termine, regelt das ein oder andere. Ob er am Abend ins Theater will? Lindh nickt. "Schau doch mal, was läuft", sagt er und nimmt mich mit zu einem Rundgang durchs Paul-Löbe-Haus und den Bundestag. Und was er an Restaurants und Cafés in der Stadt nicht kennt, das ist ihm hier längst vertraut. Die Sitzungszimmer, Plenarsäle, die Schleichwege und die Kaffeequellen.

Auf dem Weg durch die ausgestorbenen Gänge — außer Lindh arbeiten kaum Kollegen am Freitagnachmittag — passiert es plötzlich wieder. Eine Dame, die gerade eine Besuchergruppe durchs Haus führt, winkt dem Wuppertaler plötzlich erfreut zu. Lindh winkt zurück und strahlt. "Das ist die Dame, die meine Reden gelobt hat."

Keine Frage, der Mann ist angekommen in Berlin. Zumindest im Bundestag.