Unterwegs mit dem Sozialmobil "Phänomen wie die Tafel dürfte es nicht geben"

Wuppertal · Viele Lokalpolitiker nutzen die nicht ganz so eng getaktete Sommerzeit, um Einblicke in Bereiche zu bekommen, die sie sonst nur vom Schreibtisch aus kennen. Der Fraktionsvorsitzende der Wuppertaler Grünen, Marc Schulz, ist einen Abend lang die Route des Sozialmobils der Wuppertaler Tafel mitgefahren und hat vom Transporter aus Essen an Bedürftige verteilt.

 Die Ausgabestelle an der Hofaue, wo meist schon viele Menschen Schlange stehen.

Die Ausgabestelle an der Hofaue, wo meist schon viele Menschen Schlange stehen.

Foto: Sebastian Jarych

Die Rundschau hat ihn begleitet.

Für die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter ist dieser frühe Mittwochabend einer wie jeder andere. An 365 Tagen im Jahr fährt das Sozialmobil seine Haltestationen an und "versorgt Menschen, die Hunger haben", wie es ganz schlicht von Seiten der Tafel formuliert ist.

Bevor das Mobil an diesem Abend den Kleinen Werth verlässt, gibt es vom 1. Vorsitzenden Wolfgang Nielsen aber noch Informationen und auch Instruktionen für den Politiker und das Rundschau-Team. Man müsse leider immer auch mit Aggressivität rechnen und solle Wertgegenstände doch bitte im Auto lassen und dieses abschließen.

"Manche Leute regen sich sogar auf, wenn wir 20 Meter vor der eigentlichen Station halten", berichtet der 2. Vorsitzende Peter Krampen, der an diesem Abend außerplanmäßig das Sozialmobil steuert — der eingeplante Fahrer ist ohne Benachrichtigung nicht erschienen. Als es schließlich losgeht, entschärft Krampen das etwas düster gezeichnete Bild: "Die allermeisten Leute an den Halteplätzen sind freundlich und machen überhaupt keinen Ärger. Aber es gibt halt auch schwarze Schafe."

 Marc Schulz bei der Arbeit im Sozialmobil. Ihm gibt vor allem zu denken, dass hier auch kleine Kinder für Essen anstehen.

Marc Schulz bei der Arbeit im Sozialmobil. Ihm gibt vor allem zu denken, dass hier auch kleine Kinder für Essen anstehen.

Foto: Sebastian Jarych

Berufspendler Marc Schulz weiß, dass er zu dieser Klientel so gar keinen Bezug hat: "Als Bahnfahrer bin ich ja schon noch nah an den Menschen. Aber im Normalfall bin ich da von anderen Berufspendlern umgeben. Hier sind ja jetzt Menschen, die an dieser Art sozialen Lebens nur noch stark eingeschränkt teilnehmen — teilnehmen können." Kaum ausgesprochen, hält das Sozialmobil auch schon am Wichlinghauser Markt, wo sich bereits eine Warteschlange gebildet hat, denn: Die Stückzahlen sind jedes Mal anders. Was weg ist, ist weg.

"Bufdi" Tobias Kremer — er leistet einen einjährigen Bundesfreiwilligendienst — ist mit an Bord und hat an den Haltestationen ein Auge darauf, dass alles gerecht abläuft. An den geöffneten Heckklappen gibt Ehrenamtlerin Sabine Berg Suppe und Brot aus, an der Seitentür lässt Marc Schulz den Einmalhandschuh schnacken, bevor auch er Lebensmittel verteilt: Gnocchi, Brotlaibe, Obst.

Es geht völlig geregelt zu; allein die Notiz- und Kamerabegleitung sorgt für etwas Unmut. Von Kindern bis zu Senioren sind alle Altersklassen vertreten — Marc Schulz gibt es vor allem zu denken, dass kleine Kinder hier für Essen anstehen: "Es kann echt nicht sein, dass Kinder ein Armutsrisiko darstellen. Das ist eine Schande!"

Was er im Grunde schon wusste, wird hier, an der Basis, nur noch mal bestätigt: "So toll es ist, dass es diese Hilfeleistung gibt — ein Phänomen wie die Tafel dürfte es nicht geben! Und ich weiß auch nicht, ob die Bedürftigen eher dankbar sind oder vielleicht doch wütend, dass ein so reiches Land zu solchen Mitteln greift."

 Die Tafel-Vorstände Wolfgang Nielsen (l.) und Peter Krampen mit Hospitant Marc Schulz vor dem Start.

Die Tafel-Vorstände Wolfgang Nielsen (l.) und Peter Krampen mit Hospitant Marc Schulz vor dem Start.

Foto: Sebastian Jarych

Das sieht man auch den Wartenden an der Oberbarmer Rosenau nicht an. Nach einem Zwischenstopp bei einer Bäckerei auf dem Werth werden jetzt etwa 50 Menschen mit Suppe und Lebensmitteln versorgt. Ein etwa vierjähriges Kind trägt eine Tüte mit Brot zum Kinderwagen, ein älterer Herr lässt sich schwerfällig auf seinen Rollator nieder, um mit der warmen Suppe seinen Hunger zu stillen.

Peter Krampen telefoniert; er informiert seine Frau, dass er erst später Feierabend machen kann: "Ich fahr' gerade Platte. Sozialmobil." Helfen ist für ihn selbstverständlich. Seit 18 Jahren ist er für die Tafel tätig. Peter Krampen ist 73 Jahre alt. Marc Schulz ackert derweil über Kisten gebückt weiter. "Manche stellen sich mehrfach an", staunt er beim Verlassen der Rosenau. "Dabei ist erst Monatsanfang", sagt Peter Krampen, "da ist sogar noch Geld da. Richtung Monatsende sind die Warteschlangen hier dreimal so lang."

Eine größere Menschentraube erwartet das Sozialmobil in Elberfeld. Nach einem weiteren Bäckerei-Stopp hält der Transporter an der Hofaue, neben den City-Arkaden. Die Stimmung hier ist aufgeladener. "Viele Betrunkene, Drogenabhängige", erläutert Tobias Kremer, der Security-Qualitäten an den Tag legt.

Während Marc Schulz auf dem Weg hierhin noch betonte, dass die Menschen wirklich freundlich, teilweise höflich sind, sieht er sich jetzt auch mit heftigen Aggressionen konfrontiert. Als verkündet wird, dass man weiter müsse, werden gar "ein paar auf die Fresse" angedroht — das Tafel-Team deeskaliert routiniert und professionell. Kurioses spielt sich am Rand ab: Ein Anstehender überreicht dem Rundschau-Fotografen eine Visitenkarte. Auch er sei Fotograf, leide aber unter säumigen Zahlern.

Auf der Weiterfahrt zur letzten Station am Barmer Rathaus resümiert Marc Schulz: "Ich habe wirklich allergrößten Respekt vor den Ehrenamtlern, und das nicht nur, weil die Arbeit schweißtreibend ist und auf den Rücken geht." Obwohl man an der letzten Station theoretisch eine große Chance hat, mehr Lebensmittel abzubekommen, warten am Rathaus gerade mal 20 Leute aufs Mobil. Auch hier gilt die Regel "Jeder von allem nur eins" — jedoch wird nach dem "Alles muss raus"-Prinzip abschließend noch mal ausgerufen.

Als alle versorgt sind, knallen die Türen des Sozialmobils zu. Schweißperlen werden von der Stirn gewischt, Einmalhandschuhe von Händen gezerrt — für heute ist der Job erledigt. Während sich abschließend noch ein wenig ausgetauscht wird, bemerkt Tobias Kremer fast beiläufig: "Und niemand muss denken, dass er da nicht landen kann." Ein Statement und ein Abend, die Eindruck hinterlassen.

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