SPD-Bundestagsabgeordneter im Interview Lindh: „Einschüchtern lasse ich mich davon nicht“

Wuppertal · "Menschenrechte haben keine Nationalität": Für seine letzte Rede, in der er klar Position gegen die AfD bezog, bekam der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Helge Lindh (SPD) viel Aufmerksamkeit. Sogar die "Welt" teilte seine Rede auf Facebook.

 Helge Lindh.

Helge Lindh.

Foto: Christoph Busse

Jetzt wurde er Opfer von Hackerangriffen.

Seine Social-Media-Accounts wurden gehackt, außerdem bestellten die Hacker Korane und Hundekot-Attrappen auf seine Rechnung. Mit Redakteurin Nicole Bolz sprach der 41-Jährige über sein erstes halbes Jahr in Berlin.

Rundschau: Herr Lindh, Sie legen ja ein ziemliches Tempo vor ...

Lindh: Ja, ich habe ja immer angekündigt, dass ich, sollte ich in den Bundestag gewählt werden, nicht bloß rumsitzen und zuschauen will und darf.

Rundschau: Wenn man Ihre Reden hört, in denen Sie immer sehr deutlich Position gegen die Anträge und Auftritte der AfD beziehen, hat man den Eindruck, Sie sind vielleicht ganz froh, dass Sie im Bundestag jetzt die Möglichkeit haben, in die Konfrontation zu gehen, statt einfach zuhören zu müssen.

Lindh: Ich sehe das als meine Aufgabe an, den Mund aufzumachen, Haltung zu zeigen, auch wenn es nicht allen Leuten gefällt. Um es klar zu sagen: Der beste Zustand wäre, dass es gar keinen Grund gäbe, keine Anfeindungen der AfD, und man die Debatte gar nicht führen müsste. Aber da es sie nun mal gibt, halte ich es für wichtig, in die Konfrontation zu gehen. Wir müssen immer deutlich machen, dass wir für ein anderes Land stehen. Dabei muss man jeweils gut abwägen, wann man wie auf die Provokationen — denn um nichts anderes handelt es sich — reagiert. Ob mit Ironie, sachlich oder emotional — ich muss glaubwürdig bleiben! Und vor allem muss ich ernst nehmen, was viele Wähler zu den Rechten treibt. Ich muss deren Ängste ernst nehmen, aber statt sie zu instrumentalisieren, versuchen, diese abzubauen.

Rundschau: Für Ihre letzte Rede gab es viel Zuspruch. Sogar die "Welt" hat sie gepostet.

Lindh: Ja, das hat mich sehr gefreut. Es gab auch viele lobende Worte — nicht nur aus der eigenen Partei. Aber es gibt leider auch immer wieder völlig enthemmte Mails und Kommentare.

Rundschau: Sie haben sich mit Ihren deutlichen Worten also nicht nur Freunde gemacht?

Lindh: So kann man das sehen. Mein E-Mail-Konto sowie Twitter- und Facebook-Accounts wurden gehackt, meine Bankdaten öffentlich gemacht und in meinem Namen Posts mit Formulierungen wie "Rapefugees welcome" verbreitet. Außerdem haben die Hacker in meinem Namen Pakete bestellt und an meine private Anschrift liefern lassen. Darin waren unter anderem Hundekotattrappen und eine Vielzahl von Koranen. Die Ermittlungen dazu laufen. Man sollte mit Spekulationen vorsichtig sein, aber das Ganze macht einen ziemlich professionellen und politisch motivierten Eindruck. Das hat man ernst zu nehmen, aber einschüchtern lasse ich mich davon nicht.

Rundschau: Sie sind in einer Zeit nach Berlin gegangen, die bis jetzt durch das Gerangel um eine Neuauflage der GroKo ziemlich zäh und auch für Ihre Partei eine große Herausforderung war. Sind Sie zufrieden mit dem Ausgang?

Lindh: Die GroKo war sicher kein Traum von mir, aber im Vergleich zu den aktuellen Alternativen war es die beste.

Rundschau: War es auch das Beste für die SPD?

Lindh: Die SPD darf ihre Entwicklung nicht abhängig machen von der Regierungsbildung. Wir müssen jetzt sehen, wie wir den Koalitionsvertrag bestmöglich umsetzen und dass wir sichtbar werden, damit die Wähler nicht nur einen Einheitsbrei von CDU und SPD wahrnehmen. Und nach den scharfen Diskussionen, die wir intern zur Ausrichtung der Partei geführt haben, können und sollten wir jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Rundschau: Sie haben dazu gemeinsam mit elf Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion eine Initiative ins Leben gerufen, die den Erneuerungsprozess der Partei gestalten soll und ein Thesenpapier veröffentlicht.

Lindh: Es geht darum, diesen Dialog fortzuführen. Die SPD muss sich erneuern und Antworten darauf finden, wofür sie stehen will. Aber am Ende darf es keine reine Selbstbeschäftigung bleiben. So ein Positionspapier ersetzt nicht die Wirklichkeit. Das Beunruhigendste ist, dass viele Menschen den Eindruck haben, dass Politik an ihrer Lebenswirklichkeit vorbeigeht.

Rundschau: Stichwort Jens Spahn und die Hartz-IV-Debatte?

Lindh: Ja, Herr Spahn ist offensichtlich nicht ausgelastet. Seine Auffassung zu Hartz IV teile ich nicht und seine Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch sind zum Teil geschmacklos.

Rundschau: Wie wollen Sie die Wähler denn wieder erreichen?

Lindh: Ein wichtiger Schritt ist zu verdeutlichen, wie die Entscheidungen in Berlin unmittelbar Einfluss auf das persönliche Leben haben. Beispiel: Teilhabe am Arbeitsmarkt. Da hat die Koalition beschlossen, vier Milliarden Euro im Zeitraum 2018 bis 2021 zu investieren. Davon werden rund acht Millionen nach Wuppertal fließen — unter anderem hoffentlich in Projekte wie das der GESA auf der Hardt, vor allem aber in einen echten sozialen Arbeitsmarkt. Wuppertal ist darauf sehr gut vorbereitet. Dieser Punkt war einer der wichtigsten für mich, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen.

Rundschau: Ein für Wuppertal wichtiges Projekt ist das Tanzzentrum. Sie sind ja jetzt auch Mitglied im Kulturausschuss — kann das helfen?

Lindh: Prinzipiell stehen alle parteiübergreifend hinter dem Pina-Bausch-Zentrum, und es genießt bei Bund, Land und Stadt einen hohen Stellenwert. Völlig zu Recht. Da ist noch einige harte Arbeit zu leisten, aber das ist lösbar. Auch wenn das nicht allein im Kulturausschuss beschlossen wird, vielleicht hilft es ja ...

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