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Ein Tag mit einer Schulsozialarbeiterin: Ihr Job: die soziale Schule

Ein Tag mit einer Schulsozialarbeiterin : Ihr Job: die soziale Schule

Schulsozialarbeit ist ein Begriff, der erst seit einigen Jahren zur Debatte in der Schulpolitik gehört. Die Frage lautet dann: "Können wir uns das leisten?" Was der Ertrag dieser Arbeit tatsächlich ist, wird selten besprochen.

Eine Rundschau-Redakteurin durfte es erfahren. Sie machte bei Susanne Krieb, Schulsozialarbeiterin an der Grundschule Germanenstraße, ein Tagespraktikum.

Wäre Susanne Kriebs Büro ein Gemälde, würde der analysierende Betrachter viel über die Frau mit dem ruhigen Blick und ihre Arbeit an der Grundschule Germanenstraße lernen. Das Büro in dem backsteinernen Schulgebäude, dessen Mauern seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts in Wichlinghausen stehen, ist gleichermaßen provisorisch wie gemütlich. Der Schreibtisch kommt mit seinen Unterlagen, dem Telefon und PC an seine Grenzen. Ordner stapeln sich hoch an der Wand, in der Ecke steht auf einem schmalen Regal eine Kaffeemaschine, die gerade blubbernd vor sich her dampft. Auf dem Schreibtischstuhl sitzt Susanne Krieb, die seit 2011 hier im Raum Nummer 2 ihren festen Platz bezogen hat.

 Offene Arme und fröhliches Lachen: So sehen die Kinder ihre Frau Krieb.
Offene Arme und fröhliches Lachen: So sehen die Kinder ihre Frau Krieb. Foto: Susanne Krieb
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Gerade telefoniert sie, eine Schülerin liegt im Krankenhaus. Ihre Stirn kräuselt sich und während am Schreibtisch Begriffe wie "flexible Familienhilfen" und "Sorgerecht" fallen, lacht von der Wand Susanne Kriebs Ebenbild in zigfacher Ausführung auf sie hinab. Die Schulsozialarbeiterin hängt da mal mit Bunt- und mal mit Filzstiften aufs Papier gebracht, immer mit gelben Locken, bunter Brille und breitem Lachen. Und meist mit einer Schar kleiner Menschen, ebenfalls mit roten fröhlichen Mündern versehen, an der Hand. Susanne Krieb ist in ihrem beruflichen Alltag viel: ein bisschen Mutter, Tante, große Schwester, Lehrerin. Und für einige Kinder vielleicht der einzige Mensch, dem sie vertrauen.
Es schellt, große Pause. Susanne Krieb steht auf, der Flur hinter der Bürotür beginnt zu rumoren wie ein angestoßener Bienenstock und das Stillleben zerspringt in Dutzende Einzelteile, die zum Arbeitsalltag einer Schulsozialarbeiterin gehören.

Nachdem die Zukunft der Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen nach der Landtagswahl zunächst unsicher war, ist das Aus für die 1.800 Schulsozialarbeiter inzwischen vom Tisch. Vorerst. "Die Finanzierung der Schulsozialarbeit ist bis zum Jahr 2021 gesichert", sagte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann der Rheinischen Post im Oktober 2017. Der CDU-Politiker wolle sich aber in Berlin dafür stark machen, dass der Bund die Finanzierung ab 2019 übernimmt.
"Schulsozialarbeit wird hoch angesehen, bezahlen will sie aber keiner", kommentiert Susanne Krieb das Dilemma, das sie seit Jahren in den Medien verfolgt. Gerade für Berufseinsteiger sei diese dauernde Unsicherheit problematisch. Krieb: "Auch wenn junge Menschen für ihren Beruf brennen, brauchen sie doch eine berufliche Perspektive. Wie soll man so seine eigene Familie planen?"

 Susanne Krieb und ihre fröhliche Truppe.
Susanne Krieb und ihre fröhliche Truppe. Foto: Max Höllwarth

Susanne Krieb tritt aus ihrem Büro heraus und Kinder schlagen ihr entgegen wie Fans einem Popstar. "Frau Krieb, Frau Krieb", rufen sie, jeder will ein kleines Stück von der guten Seele der Schule, die sie anders als die Lehrer nicht benoten muss. Da eine Ermahnung, hier ein aufmunterndes Wort. Susanne Krieb durchquert eine Menschenmasse, die ihr bis zum Bauchnabel reicht. Sie arbeitet sich durch ins Obergeschoss, die Kinder strömen ihr wie eine bunte Welle entgegen. Sie erreicht ein verlassenes Klassenzimmer, nur am Pult sitzt eine junge Lehrerin. Die beiden Frauen duzen sich, Susanne Krieb erzählt leise und ruhig von einem Ereignis von vor zwei Tagen, vor den Schulmauern. Ein Vater, der eigentlich seine Tochter nicht sehen darf, habe im Auto auf die Grundschülerin gewartet. Susanne Krieb hat erst mit ihm gesprochen, dann mit dem verunsicherten Mädchen. Die Lehrerin hört zu, nickt, dankbar, dass Susanne Krieb ihr den Rücken frei hält, wenn sie bereits vor der nächsten Klasse an der Tafel steht.

"Krisen kennen nun einmal keine Uhrzeit", sagt Susanne Krieb bei ihrem Weg durch das Schulgebäude. Ein verlässlicher Stundenplan, so wie die Lehrer ihn haben, würde bei ihr nicht funktionieren. Natürlich habe auch sie feste Termine, aber anders als bei den Lehrern muss sie besonders dann aufmerksam sein, wenn die Dinge außerhalb der Klassenzimmer geschehen.

Einer dieser wenigen festen Termine ist aber genau jetzt, die achte Stunde beginnt. Sitzung des Schülerrats. Auf dem Programm steht eine Ortsbegehung. Die Kinder wünschen sich einen Gummiboden für ihr Fußballfeld, auf dem sie toben können, ohne sich weh zu tun. Die kleine Gruppe, zwölf Schüler und Susanne Krieb, steigt bewaffnet mit Notizblöcken und Stiften zu der nahe gelegenen Trasse hinauf. Gleich an zwei Stellen ist hier elastischer Boden. Wäre der auch für den Schulhof geeignet? "Springt mal", ruft Susanne Krieb und die Kinder machen hüpfend den Tauglichkeitstest, notieren sich Stichpunkte. Zu weich, zu hart? Nach und nach liest jeder Schüler seine Bewertung vor. Während der Schülerrat schon auf große Erfolge wie die Errichtung eines eigenen Kiosks zurückblicken kann, weiß Susanne Krieb dieses Mal nicht, ob der neue Boden überhaupt finanziert werden könnte. "Es ist wichtig, dass die Kinder lernen, dass ihre Ideen und ihre Meinung einen Wert haben", sagt Susanne Krieb. Und auch, dass sie erfahren, dass manche Wünsche eben nicht erfüllt werden können.
Die Kinder verabschieden sich, Susanne Krieb hat noch nicht frei. Ein Termin steht noch in ihrem Kalender — einer der für sie ein wichtiger Baustein ihrer Arbeit ist.

Das Elterncafé sagt sie, ermögliche allen Müttern und Vätern einen niederschwelligen Einblick in die manchen sehr fremde Welt ihrer Kinder. Familien, die vereinsamen, würden sich dort öffnen, lernen, was im Alltag ihrer Kinder eine Rolle spielt. "Denn niemand macht bewusst Fehler in der Erziehung", sagt Susanne Krieb, die zum ersten Mal seit dem Morgen wieder kurz zurück in ihr Büro gekehrt ist. Sie drückt auf den grünen Knopf der Kaffeemaschine, kramt die nächsten Unterlagen aus den Ordnern heraus. Und dann kommt eine junge Frau hinzu, offenes Lachen, 26 Jahre alt. Birte Bühlbecker ist Susanne Kriebs neue Kollegin, erst seit September ist sie ebenfalls mit einer halben Stelle als Schulsozialarbeiterin an der Germanenstraße beschäftigt. Vor kurzem hat sie ihren Bachelor in Sozialer Arbeit absolviert, der Arbeitsalltag ist noch ein bisschen Neuland für sie. Macht es ihr Angst, in diesen Beruf, der dauernd diskutiert wird, einzutreten? "Nein. Ich denke, es ist auch in der Politik eigentlich nicht zu übersehen, was für einen Beitrag die Schulsozialarbeit leistet", sagt die junge Frau mit derselben Zuversicht, mit der Susanne Krieb spricht — und die einem vor Augen führt, warum diese Frauen für die 300 Kinder an der Germanenstraße tatsächlich unersetzbar sind.