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Interview: Inklusion in Wuppertal: "Es verändert sich etwas — zum Positiven"

Interview: Inklusion in Wuppertal : "Es verändert sich etwas — zum Positiven"

Das Büro der Inklusionsbeauftragten Sandra Heinen im Elberfelder Rathaus wirkt geräumig. "Aber wenn drei Rollstühle hier drin sind, ist es zu klein", sagt die 44-Jährige. Genau das ist ihr Job: Den Platz für alle Menschen, unabhängig von Behinderung, Hautfarbe und Herkunft, in Wuppertal zu sichern.

Rundschau-Redakteurin Nina Bossy sprach mit ihr darüber.

Rundschau: Ich habe gerade mit Eltern gesprochen, deren Kind mit dem Down-Syndrom zur Welt kam.

Heinen: Das stelle ich mir spannend vor. Sicherlich war auch die Pränataldiagnostik Thema. Nur zehn Prozent der Eltern, die ein Kind mit Trisomie 21 erwarten, entscheiden sich für das Kind. Für diese Familien beginnt mit der Diagnose die Suche nach Hilfe und Angeboten.

Rundschau: Viele Eltern haben sich in dieser Zeit sehr verloren gefühlt.

Heinen: Das kann ich gut nachvollziehen. Die meisten Menschen wissen über das Down-Syndrom wenig. Die sogenannte T4-Aktion des Nazi-Regimes, bei der Menschen mit Behinderung systematisch vernichtet wurden, wirkt heute noch nach. Jetzt gerade wird die erste Generation von Menschen mit Trisomie 21 älter. Sie haben übrigens eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie wir. Jedenfalls würde ich mir für die Eltern eine intensivere Unterstützung, für manche sogar eine begleitende Trauerarbeit wünschen.

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Rundschau: Trauerarbeit, für die, die sich für das Leben des Kindes entscheiden?

Heinen: Genau. Die Sorge, dass das eigene Kind in der Leistungsgesellschaft nicht mitschwimmen kann, macht einen totalen Schnitt. Wenn der Wunsch danach besteht, ist eine Begleitung zum Aufbau einer neuen Perspektive hilfreich. An dieser Stelle sollten die Eltern ganzheitlicher begleitet werden, anstelle dass sie sich selbst ihre Hilfen zusammensuchen müssen.

Rundschau: Bei wem sehen Sie die Verantwortung für diese Beratung?

Heinen: Bei der Stadt. Ich würde mir eine unabhängige Beratungsstelle vor Ort wünschen, bei der Profis sitzen, die Unterstützung für ein Leben mit behinderten Kindern leisten. Läge diese Aufgabe beim Land, würde diese Beratungsstelle irgendwo im Regierungsbezirk Düsseldorf sitzen. Das bedeutet für die Eltern wieder Fahrtwege, komplizierte Terminabsprachen…

Rundschau: Gibt es keine Beratungsstellen in Wuppertal?

Heinen: Doch, es gibt verschiedene Träger, die Großartiges leisten. Aber die in sich auch begrenzten Angebote zu vernetzen und Eltern genau dahin zu empfehlen, wo sie gut mit ihrem individuellen Anliegen aufgehoben sind, das ist eigentlich Aufgabe der Stadt.

Rundschau: 2013 wurde das Handlungsprogramm zur Wuppertaler Inklusionspolitik verabschiedet. Wie sieht es aus mit der Inklusion in Wuppertal?

Heinen: Das Programm beschreibt erste Schritte. Das Inklusionsbüro gibt es erst seit einem Jahr. Ich mache vorsichtige Schritte, da Inklusion nicht nur Menschen mit Behinderung betrifft. Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Wandel und das ist eine Generationenaufgabe.

Rundschau: Wie viele Menschen mit Behinderung leben in Wuppertal?

Heinen: Über 38.400 Wuppertaler haben einen Schwerbehinderten-Ausweis. Aber das sind längst nicht alle Menschen mit Behinderung. Viele Eltern entscheiden sich dagegen, ihrem Kind dieses Stigma aufzuerlegen. Auch Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, beantragen den Ausweis selten. Für die hingegen, die unter verschiedenen Erkrankungen leiden und dabei einen Unterstützungsbedarf haben, ist das Dokument wichtig, um Leistungen beantragen zu können. Die Frage nach der Anzahl der Menschen mit geistiger Behinderung ist schwierig zu beantworten. Die Statistik ist dabei wenig aussagekräftig.

Rundschau: Die Eltern der betroffenen Kinder haben Sorge, dass mit schwindender Anzahl der Menschen mit Down-Syndrom auch die Hilfsangebote und die Akzeptanz zurückgehen.

Heinen: Auch wenn die Geburtenrate leicht steigt, wir leben in Zeiten des demografischen Wandels. Das Bewusstsein, dass Nachwuchs fehlt, ist da. Jeder neue Mensch ist umso wertvoller — selbst wenn er nicht den Normen der Leistungsgesellschaft entspricht. In den USA wird das Down-Syndrom von vielen Menschen als ein zu bewältigender Unterschied gesehen und nicht mehr als ein unüberwindbares Problem. Menschen mit Down-Syndrom absolvieren die High-School, besuchen die Uni mit angepassten Lernzielen, modeln und machen TV-Karriere. Ich denke, es verändert sich etwas — zum Positiven.