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Das Klimaprojekt Arrenberg: "Es geht ums Überleben"

Das Klimaprojekt Arrenberg : "Es geht ums Überleben"

Früher galt der Arrenberg als eines der Problemviertel Wuppertals. Heute sorgt das Elberfelder Quartier regelmäßig für positive Schlagzeilen. Wird ausgezeichnet für das Projekt "Klimaquartier Arrenberg", ist Gastgeber und zugleich Anschauungsobjekt für Stadtentwickler aus ganz Deutschland.

Initiator und wichtiger Motor für diese Entwicklungen ist der Unternehmer Jörg Heynkes. Eine Begegnung.

Es ist Mittag in der Villa Media. Geschäftsführer Jörg Heynkes kommt aus einer Besprechung. Natürlich ging es dabei um "seinen" Stadtteil. Die Entwicklungen in Sachen Klimaquartier überschlagen sich. Gewitterwolken hängen schwer über der Stadt, in der Ferne blitzt es. Kaum haben wir uns in einen kleinen Raum des "Innovationszentrums" zurückgezogen, das in dem Gebäudekomplex beheimatet ist, geht draußen die Welt unter — und liefert für Heynkes das Stichwort. "Nein", sagt er ironisch, "das hat alles natürlich rein gar nichts mit dem Klimawandel zu tun."

Seine Initialzündung in Sachen Klimaschutz hatte der IHK-Vizepräsident bei einem Vortrag von Ernst Ulrich von Weizsäcker vor zehn Jahren. Tief beeindruckt von Weizsäckers Analyse über den Klimawandel, kam die Erkenntnis: "Mir war klar, dass ich Teil des Problems bin", so Heynkes, "ich will aber auch Teil der Lösung sein." Die Konsequenz: Er modernisierte sämtliche Gebäude der Villa Media und stellte um auf Solarstromanlagen und Blockheizkraftwerke. "Heute erzeugen wir bereits zehn Prozent mehr Energie als wir verbrauchen", berichtet Jörg Heynkes zufrieden.

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Die Bilder:

Und was so gut im Kleinen funktioniert, das lässt sich doch auch prima auf ein ganzes Viertel übertragen. Der Verein "Aufbruch am Arrenberg" — seit ein paar Jahren maßgeblich für den Aufschwung des Stadtteils verantwortlich — entwickelt daraufhin die Idee des "Klimaquartier Arrenberg". Das Ziel: Bis zum Jahr 2030 will der gesamte Stadtteil CO2-neutral werden. Es wäre das erste Mal in Deutschland, dass sämtliche Bewohner und Unternehmen eines Quartiers ihr Leben klimaneutral gestalten. Ein ehrgeiziges Ziel, das im Juni von der KlimaExpo.NRW ausgezeichnet wurde.

"Wir waren mit allen, fast 80 ehrenamtlichen Unterstützern des Projektes in Düsseldorf und sehr, sehr stolz, als Hannelore Kraft und Umweltminister Johannes Remmel uns diesen Preis überreicht haben", erzählt Heynkes. "Es ist eine fantastische Bestätigung dafür, dass wir mit dem Projekt auf dem richtigen Weg sind und die Landesregierung verstanden hat, dass wir hier die Blaupause für eine Entwicklung in ganz NRW sein können."

Energie, Ernährung, Mobilität — das sind die Säulen des Klimaprojekts. Konkret bedeutet das, den Energieverbrauch in den Haushalten und Gewerbebetrieben des Quartiers um 25 Prozent zu senken und die gesamte Energieversorgung im Quartier in den nächsten 15 Jahren auf regenerative Energien umzustellen. In der Simonsstraße soll es dazu ein Pilotprojekt geben. Ein Häuserblock mit 113 Wohneinheiten in 25 Gebäuden — Büroflächen und Werkstätten, eine Turnhalle und das Café Simonz — sollen hier miteinander verbunden und über eine Energiezentrale vernetzt werden. Primär über eine Solaranlage, dazu auch mit einem Blockheizkraftwerk. Das kostet viel Überzeugungsarbeit. "Die Technik ist vorhanden — wir könnten das morgen umsetzen", sagt Heynkes, "aber die Menschen müssen es wollen." 2018 ist die Realisierung geplant. Lohnt es sich, soll das Konzept bis 2030 im Stadtteil ausgeweitet werden.

Richtig spannend dürfte es aber werden, wenn es um die Autos der Bewohner geht. Wie genau ein Mobilitätskonzept aussehen könnte, ist noch offen. Aber klar sei, nicht jeder brauche ein eigenes Auto. "Sinnvoll ist ja zu schauen, wer wann und wie oft ein Auto benötigt", erklärt Jörg Heynkes. Daraus könne man ermitteln, wie viele Fahrzeuge es im Block geben müsste, auf die alle zugreifen können — Elektroautos, versteht sich. E-Bikes, Fahrräder, ÖPNV oder eigene Quartiersbusse sind weitere Optionen. Die Zeiten, in denen das Auto Prestigesymbol war, sind vorbei. Eigentlich. Dass noch nicht alle so denken, das weiß Heynkes auch. "Das wird vermutlich die größte Herausforderung, aber es reicht nicht, hier und da etwas zu verändern, man muss das ganze Leben umkrempeln."

Und dazu gehört auch die Ernährung. Unter dem Titel "Essbarer Arrenberg" soll eine gesunde und CO2-neutrale Ernährung angestrebt werden. Die Projekte Foodsharing und Restaurant-Day weisen bereits den Weg, die große Vision aber ist die Arrenbergfarm. Auf einer Fläche von rund 60.000 Quadratmetern auf einem ehemaligen Bahngelände an der Steinbeck soll die erste Farm im Zentrum einer deutschen Großstadt entstehen. Auch dort dreht sich alles um ein in sich geschlossenes Energiesystem. So wird zum Beispiel eine 3.500 Quadratmeter große Aquaponicfarm geplant — ein hochmodernes Landwirtschaftsprinzip, bei dem sich Fischzucht und Gemüseanbau gegenseitig in einem geschlossenen Nährstoff-Wasserkreislauf begünstigen. Ein klassischer Bauernhof ist dort ebenso angedacht wie eine eigene Brauerei und eine Brennerei. Daneben soll auf 5.000 Quadratmetern eine Art moderner Ferienpark entstehen, der so angelegt ist, dass die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Eine Farmküche soll Slowfood aus eigener Produktion bieten, der Farmladen selbst erzeugte Produkte verkaufen und CO2-neutral ausliefern. Und sogar wohnen soll man dort können — und zwar nach dem Mehrgenerationenkonzept.

Auf rund 40 Millionen Euro belaufen sich die Investitionskosten, schätzt Heynkes. Ob diese gigantische Idee überhaupt umsetzbar ist? "Man muss sehen, was funktioniert", sagt der Unternehmer. Ende 2017 will die Bahn mit dem Rückbau des Geländes beginnen, dann wird die Machbarkeit der Arrenbergfarm geprüft.

Wem das alles zu abstrakt ist, der hat seit Juli die Möglichkeit, sich auf dem Akzenta-Parkplatz an der Steinbeck die Farmbox anzusehen. Die Anlage versorgt sich selbst mit Energie, Pedelecs können dort aufgeladen werden, dort wächst Gemüse und schwimmen Fische — kurzum die Box repräsentiert alle wesentlichen Themen des Klimaquartiers: nachhaltige Ernährung, Mobilität und Energieversorgung. Jeden Freitagmittag und Samstagvormittag erklären die Arrenberg-Akteure den Besuchern anhand der Farmbox, worum es geht. "Hier können wir Menschen zum Mitmachen gewinnen", betont Heynkes.

Draußen hat sich das Gewitter inzwischen verzogen. Die Sonne bringt die Regentropfen an den Scheiben zum Glitzern. Keine Frage, dem Mann ist es ernst mit seinem Engagement. Und wer weiß, vielleicht ist das ehrgeizige Projekt tatsächlich der entscheidende Anfang eines Umdenkprozesses, der für Jörg Heynkes unumgänglich ist: "Es geht hier nicht um ein bisschen Umweltschutz — es geht ums Überleben!"