Cyber-Mobbing: Hass ohne Gesicht

Wuppertal · Jessica Gehres hat unter Pseudonym ein Buch über Cybermobbing geschrieben. Darin verarbeitet sie traumatische Erlebnisse an einer Wuppertaler Gesamtschule.

 Jessica Gehres ist ein Pseudonym: Die 26-Jährige hinter dem Buch möchte anonym bleiben.

Jessica Gehres ist ein Pseudonym: Die 26-Jährige hinter dem Buch möchte anonym bleiben.

Foto: Florian Schmitz

Es war der unrühmliche Höhepunkt im Schulleben von Jessica Gehres: Als sie 14 Jahre alt war, schnitt ihr ein Junge mitten im Unterricht den Pferdeschwanz ab. 20 Zentimeter Haar, einfach weg — für ein junges Mädchen eine schlimme Sache. Lange Zeit hatte Jessica geschwiegen. Nach dieser Attacke hielt sie es nicht mehr aus und vertraute sich ihrer drei Jahre älteren Schwester an. Bereits seit zwei Jahren war sie gemobbt worden — erst auf dem Hof einer Wuppertaler Gesamtschule, dann auch im Internet. Erst ein Wechsel auf die Realschule half ihr, die schlimmen Erlebnisse zu überwinden. Es hätte böse enden können.

Heute ist sie 26, eine selbstbewusste, aber bedacht sprechende junge Frau. Mitgenommen hat sie auch ihr Gefühl für Gerechtigkeit. Deshalb möchte sie anderen Mobbing-Opfern helfen. Erst begann sie sich für den Verein "Bündnis gegen Cybermobbing" zu engagieren, und jetzt hat die Wuppertalerin mit der Autorin Kerstin Dombrowski unter Pseudonym das Buch "Euer Hass hat kein Gesicht — Mein Leben im Schatten des Cyber-Mobbing" geschrieben.

Darin erzählt sie ihre Geschichte: Es waren ihre Freunde, eine Clique, die sich schließlich gegen sie wendete. Vorher hatten die sechs Jungs und Mädchen schon andere Kinder schikaniert. Eigentlich kamen sie nicht aus schlechten Elternhäusern, sondern wollten ihr Machtgefühl ausleben, um ihr schwaches Selbstvertrauen auf Kosten anderer aufzumotzen. Als Jessica es nicht mehr mit ansehen wollte und sich schützend vor das nächste Opfer stellte, rückte sie selbst ins Zentrum der Attacken. Es begann mit einem Schubser und Beschimpfungen, aber irgendwann ging es über den Schulhof hinaus. 2002 war das, als das Internet gerade richtig in der Gesellschaft Fuß fasste. Jessica war gerade erst 13 und wurde zum Opfer von Cybermobbing ...

Im Netz gründeten die Täter eine Gruppe im damals angesagten sozialen Netzwerk SchülerVZ. "Wir hassen Jessica" lautete der makabre Titel. Wer darin schrieb, wusste sie nicht. Aber es gingen plötzlich immer mehr schlimme Gerüchte über sie durch die Schule. Auch Schüler aus anderen Klassen machten das schlimme Spiel mit. Die Lehrer unternahmen ihrer Aussage nach — nichts. "Ich habe mich damals einfach hilflos gefühlt und hatte Angst vor weiteren Angriffen", sagt sie. Sie begann, den Unterricht zu schwänzen, wurde immer stiller und hat weniger gegessen: "Schließlich hieß es unter anderem, ich sei fett", erinnert sie sich. Zwei Leben habe sie damals gelebt.

Wenn sie heute beim Bündnis gegen Cybermobbing Opfer berät, rät sie den Kindern und Jugendlichen dazu, sofort das nähere Umfeld einzuschalten. "Meine Eltern haben sehr gut reagiert. Sie wollten, dass ich ohne Druck von den Dingen erzähle. Das hat mir sehr geholfen", sagt Jessica Gehres.

Weil die Angriffe zwölf Jahre her waren, konnte die IT-Systemkauffrau heute relativ emotionslos darüber schreiben und sprechen. "Es war, als würde ich die Geschichte einer Freundin erzählen", sagt sie. Ein, zwei Jahre habe es gedauert, bis die Angst weg war und sie wieder Vertrauen zu neuen Freunden aufbauen konnte.

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