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Eine Analyse: Tanztheater: Trauriges Ende und viele Fragezeichen

Eine Analyse : Tanztheater: Trauriges Ende und viele Fragezeichen

Das war's dann also. Das Tanztheater Wuppertal geht mit einem Paukenschlag in die Sommerpause. Die Intendantin Adolphe Binder fristlos gekündigt, der Geschäftsführer Dirk Hesse lässt seinen Vertrag auslaufen und verlässt seinen Posten Ende des Jahres.

Die Tänzer: verunsichert. Spielplan: Fehlanzeige. Am Ende einer künstlerisch erfolgreichen Spielzeit, die unter den Vorzeichen eines Neuanfangs stand — neue Intendantin, neue Stücke — steht nun ein trauriges Ende und viele Fragezeichen.

Nein, diesmal sollten sie es nicht aus der Presse erfahren. Diesmal wollte man sie zuerst informieren. Nach einem längeren Gastspiel in Paris gerade wieder in Wuppertal gelandet, zogen einige Tänzerinnen und Tänzer — viele befanden sich bereits im Urlaub oder auf dem Weg dorthin — sowie weitere Mitarbeiter des Tanztheaters am Freitagnachmittag Richtung Lichtburg. Dort, so die Einladung des Beirats, wolle man sie über die personellen Entscheidungen in Kenntnis setzen, deren Diskussion in der vergangenen Woche die Schlagzeilen bestimmt hatte. Gehört wurden sie jedoch nicht zu dieser für sie wichtigen Entscheidung. Das Ergebnis dürfte für die meisten kaum noch eine Überraschung gewesen sein.

  • Offener Brief : Adolphe Binder: "Vorwürfe sind unhaltbar"
  • Beirat gibt Erklärung ab : Tanztheater: Trennung von Binder und Hesse
  • Noch Beratungsbedarf : Tanztheater: Entscheidung über Binder vertagt

"Der Beirat des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch hat in seiner Sondersitzung am 13. Juli 2018 beschlossen, sich von der Intendantin Adolphe Binder zu trennen", so klang das in der offiziellen Pressemitteilung der Stadt. Diese Entscheidung sei notwendig geworden, "um die Handlungsfähigkeit dieser einzigartigen kulturellen Einrichtung wiederherzustellen". Ursula Schulz (SPD), Beiratsvorsitzende, sprach im Rundschau-Gespräch von einem "Supergau". Nach Auffassung des Beirats sei das Verhältnis derart zerrüttet, dass es keine andere Lösung mehr gegeben habe. "Zwischen Binder und Hesse war keine Kommunikation mehr möglich. Das wäre implodiert", so Schulz.

Man müsse den Blick jetzt nach vorn richten, um den weiteren Prozess der Realisierung eines Tanzzentrums und auch den Fortbestand des Tanztheaters nicht zu gefährden. Dies habe oberste Priorität. "Uns war es wichtig, diese Entscheidung vor der Sommerpause zu treffen, damit die Beteiligten nicht noch länger im Unklaren bleiben." Eine Rolle dürfte wohl auch die Zwei-Wochen-Frist gespielt haben, die bei einer fristlosen Kündigung eingehalten werden muss.

Adolphe Binder äußerte sich erstmals in einem offenen Brief am Samstag zu der Kündigung. Sie habe zuerst von Pressevertretern von der fristlosen Kündigung erfahren. "Dieser Entschluss dient nicht der Zukunft des Tanztheaters", so Binder. "Die von der Geschäftsführung gegen mich erhobenen — und mir nur teils offiziell bekannten — Vorwürfe sind unhaltbar und rechtfertigen keine Kündigung", schreibt sie darin.

Die 49-Jährige führt aus, einen Spielplan bereits im vergangenen Jahr erarbeitet und vor Monaten vorgelegt zu haben. Karten für einzelne Vorstellungen würden bereits in Tel Aviv, Sao Paulo, London und Paris verkauft. Auch Gastverträge für Highlights in Wuppertal seien fest verabredet und von der Geschäftsführung bestätigt. Weiter beklagt Binder in diesem Brief, dass Geschäftsführer Dirk Hesse sie nicht transparent in Entscheidungsprozesse einbezogen zu haben. "Meine Arbeit wurde laufend behindert, Auskünfte zum Etat sowie eine Kooperation wurden mir verweigert und ich wurde persönlich diffamiert und herabgesetzt."

Gefällt wurde der Entschluss im Beirat übrigens bei einer Gegenstimme. Peter Vorsteher (Grüne) konnte der Kündigung von Adolphe Binder nicht zustimmen. Er kritisierte die Verwaltung, den Beirat erst so spät über den massiven Konflikt zwischen Intendanz und Geschäftsführung informiert zu haben. "Dies hätte zeitnah Ende Dezember oder Anfang Januar geschehen müssen, so Vorsteher, "um zu einer gemeinsam getragenen Lösung im Beirat zu kommen". Dies sei jedoch nicht geschehen und die Informationen nur spärlich ans Tageslicht gekommen.

Der Beirat ist ein Kontrollgremium, dem Vertreter des Kulturministeriums NRW, der Pina Bausch Foundation, Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD), Kulturdezernent Matthias Nocke sowie Vertreter aus der Politik angehören. Er war erstmals Mitte Juni über diesen seit Monaten hinter den Kulissen des Tanztheaters schwelenden Konflikt informiert worden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte es jedoch bereits eine (gescheiterte) Mediation sowie angeblich auch verschiedene Gespräche mit Adolphe Binder über eine Auflösung des Vertrags in beiderseitigem Einvernehmen gegeben. Dies hatte sie offenbar abgelehnt. Und so hatte die Geschäftsführung Anfang Juli ein Kündigungsschreiben formuliert und dem Beirat einen sechsseitigen Aktenvermerk als Entscheidungsgrundlage zusammengestellt, der allerlei Vorwürfe gegen Binder auflistet. Diese Liste wurde auch der Presse zugespielt.

Auch das Land NRW, es unterstützt das Tanztheater jährlich mit rund 1,2 Millionen Euro, hatte sich in die Diskussion eingebracht und einige Vertreter des Beirats Mitte der Woche zum Gespräch gebeten. Isabel Pfeiffer-Poensgen erklärte gegenüber der dpa, Tanz und Theater seien kollektive Künste. "Das erfordert starke künstlerische Ideen, aber auch Teamfähigkeit, Kommunikation und Führungskompetenz." Zweimal hatte der Beirat die Entscheidung über Binders fristlose Kündigung vertagt, bis er sie am Freitag schließlich doch fällte. Inwieweit die erhobenen Vorwürfe vom Beirat genau überprüft wurden, ist nicht bekannt.

Stadtdirektor Johannes Slawig (CDU) kann die Kritik des Beirats - manche sprechen von "einer Verselbständigung der Verwaltung" - verstehen. "Ich habe viele Monate versucht, den Konflikt intern zu lösen. Mir war wichtig, dass die beiden Uraufführungen der neuen Stücke ohne öffentliche Diskussion stattfinden können. Das hat am Ende nicht funktioniert. Dafür bin ich verantwortlich."

Laut Slawig habe der Konflikt nicht nur zwischen Dirk Hesse und Adolphe Binder bestanden. "Auch viele andere leitende Mitarbeiter sprachen von Konflikten mit Adolphe Binder." Daher habe man großen Handlungsbedarf gesehen, um weiteren Schaden für die Compagnie zu vermeiden. Die künstlerischen Auseinandersetzungen seien am Ende nicht entscheidend gewesen. Der Spielzeitplan 2018/19 soll nun von Geschäftsführer Dirk Hesse erstellt und im September vorgestellt werden, so Slawig.

Die Weiterentwicklung des Tanztheaters soll jetzt ein Expertengremium begleiten, dem unter anderem Alistair Spalding, Leiter des Sadler's Wells Theaters in London, angehören soll, das bereits viele Jahre mit dem Wuppertaler Tanztheater kooperiert. Auch Vorschläge für die Neugestaltung der Führungs- und Leitungsstruktur und das Anforderungsprofil für die zukünftige künstlerische Leitung sollen dabei entwickelt werden.

Die 49 Jahre alte Adolphe Binder hatte die Intendanz im Mai 2017 mit dem Auftrag übernommen, das legendäre, aber seit dem Tod Pina Bauschs vor neun Jahren im Stillstand verharrende Tanztheater in die Zukunft zu führen. Unter ihrer Leitung waren die beiden neuen Stücke von Dimitris Papaioannou und Alan Lucien Øyen entstanden. Dirk Hesse ist seit 2011 Geschäftsführer.