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Schauspiel-Premiere: Ist „Mr. Weichgespült“ ein Lügner?

Schauspiel-Premiere : Ist „Mr. Weichgespült“ ein Lügner?

Thomas Braus brilliert in Neil LaButes Stück "Zur Mittagsstunde" im Theater am Engelsgarten.

Warum ich? Das fragt sich John Smith (Thomas Braus), nachdem er als einziger einen Amoklauf in seiner Firma überlebt hat. 37 Tote, ein Überlebender — er selbst. Für Smith gibt es nur eine Antwort: Gott hat ihn auserwählt, hat ihm zugerufen — "Bleib und du wirst gerettet werden!"Fortan will er, untreuer Ehemann und mieser Kollege, ein besserer Mensch werden und Gottes Wort verkünden. Doch das wird ganz schön schwierig ...

Neil LaButes Stück "Zur Mittagsstunde", das jetzt im Theater am Engelsgarten Premiere hatte, stellt die Frage, ob es überhaupt möglich ist, ein anderer, ein besserer Mensch zu werden. Dabei wirft der amerikanische Dramatiker einmal mehr einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft, in der Menschen auch in der größten Katastrophe ihren Vorteil wittern und skrupellos ausschlachten. So wie Johns Anwalt, der beim Anblick des Fotos, das John während des Amoklaufs von einer zerfetzten Leiche gemacht hat, sofort Dollarzeichen in den Augen bekommt. "Das ist eine Million wert. Mindestens", sagt er hocherfreut.

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Oder der Prediger, der bei Johns Wandlung vom Saulus zum Paulus die große Chance wittert, Gottes Wort medienwirksam und lautstark in Szene zu setzen. Auch die eiskalte Fernseh-Talkerin, die John — für die gute Quote — live vor Publikum bis auf die Haut bloßstellt. Johns Ex-Frau Ginger sowie seine Geliebte dagegen, sie haben so ihre Zweifel an seiner Läuterung. Vor allem Ginger misstraut dem neuen "Mr. Weichgespült" und fragt sich: "Kann ich Dir glauben oder ist das alles nur Theater, nur Show?" Eine zentrale Frage des Stücks, das Carolin Mittler in Wuppertal zwischen mal golden, mal silbern glitzernden Vorhängen und einer Spiegelfront einbettet.

Hier sehen wir John etwa zu Beginn, als gleißend helles Licht den Vorhang zum Leuchten bringt. Göttliche Erleuchtung oder nur grelle Show-Scheinwerfer? Eine Antwort geben weder LaBute noch Regisseurin Schirin Khodadadian, die in Wuppertal bereits "Nathan der Weise" inszenierte. Vielmehr werden die Zuschauer, immer als Zeugen der Ereignisse, mit stets neuen Wahrheiten konfrontiert, sollen sich selbst ein Bild von John machen.

Ist er wirklich nur der Überlebende eines Amoklaufs, der darüber zum Glauben gefunden hat? Will er tatsächlich ein besserer Mensch werden? Oder ist das alles nur ein perfider Plan zur Selbstinszenierung? Hat sich John seine Begegnung mit Gott nur ausgedacht, um sich und seine Geschichte besser vermarkten zu können, auch um von dem abzulenken, was vorher war? Von seiner eigenen Schuld? Oder stimmt gar beides? Kann man heutzutage noch glauben, so ganz ohne Gottesbeweis? Was wird uns eigentlich zugemutet im Fernsehen? Was sind wir bereit zu glauben? Haben wir eigentlich komplett den Verstand verloren? Und unser Herz gleich mit?

"Zur Mittagsstunde" glänzt in Wuppertal vor allem durch seine herausragenden Schauspieler. Allen voran Intendant Thomas Braus als John ist ein kleines Ereignis: Wie er zweifelt und hadert, um sein Recht kämpft, gehört zu werden, seine Wahrheit immer wieder verteidigt und am Ende doch undurchsichtig bleibt.

An seiner Seite kann Philippine Pachl, die hier alle weiblichen Rollen spielt, wunderbar ihre Vielseitigkeit beweisen. Mal verletzte Ehefrau, mal nölige Geliebte, mal eiskalte Moderatorin. Und Stefan Walz — er verkörpert alle Männer-Figuren — hat (Halleluja!) seinen größten Auftritt als überdrehter TV-Prediger. Ein Trio, das das Stück lässig über 100 Minuten trägt und absolut sehenswert macht.

(nib)