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Tanztheater Pina Bausch: Ein sehr langes Abschiednehmen

Tanztheater Pina Bausch : Ein sehr langes Abschiednehmen

Vor dem Besuch bitte die Englischkenntnisse auffrischen: Im "neuen Stück II" des Tanztheaters wird viel über den Tod geredet. Choreograf Alan Lucien Øyen entwickelt melancholische Mini-Dramen.

Es ist ein ziemlich langer Abend geworden. Satte dreieinhalb Stunden dauert das am Samstag uraufgeführte Stück des Tanztheaters, das in bester Pina-Bausch-Tradition noch keinen Namen hat und deshalb erst einmal unter der Bezeichnung "Neues Stück II" gespielt wird. Auch sonst knüpft der Norweger Alan Lucien Øyen in seiner Kreation an die frühen Tanzabende der großen Choreographin mit vielen Schauspielszenen und vergleichsweise wenig Tanz an. Es geht in dem durch und durch wehmütigen Stück um Tod und Abschied, um die Erinnerung an Verstorbene. Viel Trauerarbeit also. Man darf da in übertragenem Sinn sicher auch an Pina Bausch denken.

Gab sich drei Wochen zuvor Dimitris Papaioannou, der mit der anderen Hälfte der Compagnie das erste der beiden neuen Stücke erarbeitet hatte, als cooler Bilderfinder, so präsentiert sich Øyen als Geschichtenerzähler, was nicht der schlechteste Ansatz ist. Das gab's schließlich schon bei Pina, aber da besaßen die schauspielhaften Momente meist aphoristische Kürze. Øyen dagegen entwickelt regelrechte Mini-Dramen in mehreren Akten. Das wichtigste gehört Helena Pikon, die zunächst ihrem Gegenüber Andrey Berezin, vielleicht ein Polizeibeamter, vom Tod ihres Bruders in einem Istanbuler Hotel berichtet. Später will sie in einer Kirche für den Verstorbenen singen.

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In der vielleicht merkwürdigsten Szene des Abends diniert sie mit der als Pathologin ausstaffierten Emma Barrowman vor einer abgedeckten Leiche (die sich anschließend als quicklebendig erweist), wobei Schere und Skalpell als Essbesteck herhalten. Es gibt also durchaus Brechungen, einmal spielt das Ensemble unter Einbeziehung des Publikums "Galgenmännchen". Aber es scheint, als traue Øyen der absurden Komik nicht, denn diese Brüche sind unerwartet zaghaft inszeniert. Das befreiende Lachen (auch wenn es manchmal im Halse stecken blieb), dass die großen Bausch-Abende kennzeichnete, bleibt hier weitgehend aus.
Im Bühnenbild von Alex Eales lassen sich verschiebbare Elemente zu kleinen Räumen mit Retro-Charme zusammenstellen, karge Wohnräume wie aus den 1960er Jahren, meist in warmen Farben ausgeleuchtet. Zur Spurensuche in der Vergangenheit erklingt gedämpfte Musik, die sich zwischen Jazzigem von Nat King Cole oder Billie Holliday auf der einen bis zu gemäßigt modernen Komponisten wie John Adams und Terey Riley auf der anderen Seite bewegt.

Man kann die Melancholie geradezu mit Händen greifen. Darüber gibt es viel Text, oft (und in entscheidenden Passagen) in englischer Sprache und nicht immer leicht verständlich, was dem Publikum einiges an Konzentration abfordert. Das ist vielleicht der Preis für ein international aufgestelltes Ensemble und koproduzierende Theater in Paris, London und Oslo. Øyen hat vielleicht doch eher das Publikum bei den Festivals im Blick als das in der Wuppertaler Provinz.

Getanzt wird zwischendurch auch, fast immer solo. Zweimal gibt es so etwas wie einen pas de deux — der schönere zwischen Annäherung und Gewalt mit ein paar Anspielungen auf das klassische Ballett gehört zwei Männern (Douglas Letheren und Jonathan Fredrickson). Dabei böten, so scheint es beim ersten Sehen, Thema wie Aufbau des Abends sehr mehr Gelegenheit zum Tanz — als Ausdruck dessen, was mit Worten eben nicht darstellbar ist. Trotzdem fasziniert der (zu lang geratene) Abend in vielen Momenten. Ob das schon die endgültige Fassung ist? Pina Bauschs Werke waren ja auch oft ein "work in progress" und nahmen erst nach und nach ihre definitive Gestalt an. Ein paar Straffungen und stärkere Pointierungen scheinen angebracht. Und bitte mehr Tanz!

Neues Stück II. Eine Kreation von Alan Lucien Øyen": drei Stunden plus Pause.
Weitere Aufführungen am 6., 8., 9. und 10. Juni 2018 im Opernhaus. Restkarten auf Anfrage bei der Kulturkarte unter Telefon 0202/ 563-76 66 und www.kulturkarte-wuppertal.de