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Aus dem Tagebuch der Redaktion: 150 Zahnstocher

Aus dem Tagebuch der Redaktion : 150 Zahnstocher

Habe ich mich in etwas reingesteigert? Der Gedanke kommt unverhofft. Ich sitze auf der Terrasse, in einem Schlafanzug, an dem Uhu klebt, die Haare ungekämmt grob mit zwei Stiften zum Dutt gesteckt.

Es ist Samstagmittag und ich habe den Vormittag damit verbracht auf 150 Zahnstocher selbst ausgeschnittene goldene Herzen mit Doppelklebeband zu kleben. Hübsch sieht das aus, die Künstlerin selbst… nun ja.

Vielleicht erinnern Sie sich, ich heirate im September und ich erzählte bereits, die Hochzeitspläne machen etwas mit mir. Jetzt, zwei Monate (oh, mein Gott, noch zwei! Monate!) werden die Veränderungen sichtbar, und damit meine ich nicht nur die strenge Diät, die mich seit Jahresanfang geißelt.

Es fing alles harmlos an, mit der Idee ein bisschen etwas selbst zu gestalten, der Feier eine eigene Note zu verleihen. Nun kann ich wie ein Eskimo Dutzende Weißtöne voneinander unterscheiden, weiß, dass jedem guten Styling ein Peeling vorangehen muss und habe eine Bonussammelkarte für ein Bastelgeschäft.
Meinen Sie, ich übertreibe? Das letzte Mal, dass ich Menschen in meinem Zustand gesehen habe, war im Fernsehen bei der Sendung "Schwiegertochter gesucht", als eine Mutter und eine Tochter aus abgeschleckten Eisstäbchen Untersetzer bastelten. Auch die hatten die Augen konzentriert zusammengekniffen und Kleber an zumindest schlafanzugähnlichen Kleidern. Aber, mein Ergebnis, finde ich, ist es wert. Die Herzchen glitzern und ich bin glücklich. Schlichte Beschäftigung, aber irgendwie schön. Und den Kleber, der nach weiteren 150 Zahnstochern auch irgendwie auf meiner Stirn gelandet ist, kriegt spätestens die Stylistin, die ich schon vor Monaten gebucht habe, sicherlich wieder abgerubbelt. Dann glänzt auch die Künstlerin wie ihr Werk.

Schön ist, dass dem Mann, der zu dem Spektakel gehört, der Kleber auf der Stirn herzlich egal ist. Wenn das so ist, hat sich der Aufwand zumindest gelohnt.