Kommentar zur Idee der autofreien Elberfelder Innenstadt Zwei perfekte Vorreiter

Wuppertal · Da hat das Wuppertal Institut vorige Woche ein ziemlich großes kommunalpolitisches Fass aufgemacht: Die Elberfelder Innenstadt bis zum Jahr 2027 quasi autoverkehrsfrei zu bekommen — ist das überhaupt irgendwie vorstellbar?

 Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Foto: Bettina Osswald

Bei dem riesigen Berg an Einzelproblemen, die auf dem Weg hin zu einem autofreien Stadtteil gelöst werden müssen?

Da werden vielen Wuppertaler erstmal reflexartig "nein" sagen, weil ihnen das entsprechende Vorstellungsvermögen fehlt. Kein Wunder, auch mir ging es lange ähnlich. Und dass das Wuppertal Institut in seinem Impulspapier "Innenstadt" auch noch den satte 4,5 Quadratkilometer großen Bereich zwischen Briller Straße und Campus Haspel definiert, macht die Sache nicht unbedingt leichter.

Trotzdem ist dieser Denkanstoß erstens goldrichtig und kommt zweitens genau zum passenden Zeitpunkt. Denn nirgendwo gibt es derzeit ähnlich rasante Entwicklungs- und Veränderungsprozesse wie im Mobilitätssektor. Ich muss da gar nicht weit gucken: Tatsächlich lebt ein Drittel der Rundschau-Redaktion privat bereits autofrei — und das gut. Immer mehr junge Menschen erzählen mir immer öfter davon, dass sie gerne ohne Auto auskommen würden. Vom Statussymbol-auf-Vier-Rädern-Gedanken ist die "Generation Smartphone" ohnehin weiter entfernt als jede andere vor ihr. Und weil gleichzeitig alternative Mobilitätskonzepte immer greifbarer werden, zweifelt niemand ernsthaft daran, dass wir zumindest mittelfristig vor einer kompletten Verkehrswende stehen.

Was das an wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen mit sich bringt, ist von Wuppertal nicht zu beeinflussen. Sehr wohl aber könnten wir als eine Art "Reallabor" ganz vorne dabei sein, wenn es darum geht, wie sich Städte auf diese Veränderung einstellen. Das große Plus aus meiner Sicht: Elberfeld hätte zwei perfekte und sauber abgegrenzte Gebiete als potenzielle Vorreiter für das Projekt "autofrei", die auch das Wuppertal Institut in den Fokus genommen hat: das Luisenviertel und den Ölberg.

Die Diskussion um ein autofreies Luisenviertel ist ja im Prinzip schon uralt, kann aber heute unter ganz anderen Vorzeichen geführt werden als anno dazumal. Inzwischen fühlt sich nämlich Wuppertal hier zwischen Briller Straße und Kasinostraße am allermeisten nach Großstadt mit urbaner Draußen-Lebensqualität an. Und würde das noch viel mehr tun, wenn keine Autos mehr über das Kopfsteinpflaster und an den Menschen vorbeidonnern, die hier vor den Häusern und Kneipen sitzen. Und warum sollte dieses Viertel in autofreier Variante eigentlich für die notwendigen Dinge des Lebens schwerer zu erschließen sein als die Fußgängerzone gleich nebenan?

Apropos Fußgängerzone: Warum das Luisenviertel nicht mit der City-Fußgängerzone verbinden und die sehr hinderliche Kasinokreisel-Grenze zwischen dem neuen Gastro-Hotspot Herzogstraße und der Friedrich-Ebert-Straße auflösen? Könnte so ein Fußgänger-Großraum mit direkt angebundener Altstadt nicht genau der Anziehungspunkt sein, der auf kurzen Wegen auch Outlet-Besucher in die "richtige" Stadt lockt? Sie sehen: Wenn man mal anfängt, darüber nachzudenken, macht das richtig Spaß ...

Genau wie beim Ölberg: Dieses Unikum unter den Stadtquartieren würde seinen Szene-Flair noch ganz anders entfalten können, wenn nicht buchstäblich jeder Quadratzentimeter zugeparkt wäre und sich Menschen und zu viele Autos den knappen öffentlichen Raum teilen müssten. Hier eine echte Verkehrswende hinzukriegen und den Bereich bei der notwendigen Berg- und Tal-Infrastruktur mit dem Luisenviertel zu vernetzen wäre ein wirklich lohnendes Ziel für visionäre Stadtplanung. Und der beste Anschauungsunterricht für alle, denen bisher in Sachen Autofreiheit das Vorstellungsvermögen fehlt. Ich bin sehr gespannt, ob sich Politik das traut ...

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