Bundestagswahl 2017: Helge Lindh (SPD) "Finde es gut, den Erwartungen nicht zu entsprechen"

Wuppertal · Ins Bild eines typischen Politikers passt Helge Lindh nicht. Der Sozialdemokrat sucht seinen ganz eigenen Weg und setzt sich auch schon mal mit dem Hocker in die Fußgängerzone, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

 Theater, Oper, Engels — im Engelsgarten laufen viele Stränge aus Helge Lindhs Leben zusammen.

Theater, Oper, Engels — im Engelsgarten laufen viele Stränge aus Helge Lindhs Leben zusammen.

Foto: Rundschau / Simone Bahrmann

Keine Frage, er meint das ernst.

Das Plakat? Irritiert viele Wähler. Jung sähe er aus, dieser Helge Lindh, sagen sie und schütteln den Kopf. Richtig benennen können sie es gar nicht, aber nein, aber ach und irgendwie wirke er doch gar nicht so, als könne er sich da durchsetzen im großen Berlin. Die, die ihn schon einmal persönlich getroffen haben, sagen: "Der ist anders als andere Politiker." Darauf angesprochen, lacht Helge Lindh. Sein Kommentar: "Ich denke, da haben sie Recht." Der Satz freut ihn. "Ich finde es gut, den Erwartungen nicht zu entsprechen. Ich denke, man tut gut daran, nicht den perfekten Politiker spielen zu wollen."

Der 40-jährige Bundestagskandidat wirkt kurz vor der Wahl entspannt. "Termine? Dürften gern mehr sein", sagt er und greift zum Glas. Wasser, still. Wir sitzen im Hof des Engelszentrums. Lindh trägt einen blauen Anzug. Nicht klassisch dunkelblau, sondern heller, auffälliger. Weißes Hemd, keine Krawatte, weiße Sneaker. Die blaue Brille verleiht dem eher blassen Teint Struktur. "Hier", sagt Lindh und macht eine ausholende Bewegung mit den Armen von Opern- über Engelshaus bis zum Theater am Engelsgarten, "laufen sämtliche Fäden meines Lebens zusammen." Schon als Kind sei er oft im Engelshaus gewesen, wohnt heute nur wenige Straßen entfernt, an der Grenze von Barmen zu Unterbarmen ("Da muss man vorsichtig sein, das nehmen viele sehr genau.") und besucht regelmäßig Oper wie Theater. Auch abends könne man ihn hier schon mal treffen. Wenn er einen seiner typischen Spaziergänge macht. Ein "Stadtwanderer" sei er. "Ich gehe gerne sehr spät abends noch los, manchmal noch richtig weit."

Lindh ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landtag und tätig für die SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Bialas, Josef Neumann und Dietmar Bell. Sein Weg führte den Sohn eines Finnen und einer Thüringerin 1999 in die SPD. "Es war nie eine Frage, in welcher Partei ich mich engagieren will, sondern das war meine tiefe Überzeugung." Geprägt habe ihn seine Mutter, die immer sehr sozial gedacht und gehandelt habe, sowie Persönlichkeiten wie Johannes Rau, aber auch Richard von Weizsäcker. Ob er manchmal mit seiner Partei hadere? "Ach, mit dem Thema könnte man Bücher füllen", gesteht er. "Das gehört bei der SPD aber praktisch zum guten Ton." Die Hartz-Gesetze, Agenda 2010 — damit kann er sich nicht identifizieren. "Die SPD", sagt Lindh, "muss überlegen, wo ihre Wurzeln sind."

Sie habe genau die — die Arbeiter, Handwerker und die, die sozial am Rand stehen — in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Befristete Verträge, Selbstständigkeit am Rande des Existenzminimums und prekär Beschäftigte, diesen Problemen müsse man sich endlich zuwenden, mutiger werden, Visionen einer neuen, sozial gerechten Gesellschaft entwerfen.

Bei diesen Themen kommt der sonst eher ruhige Lindh in Fahrt, gestikuliert mit einem Kugelschreiber, den er während des gesamten Gesprächs in den Händen hält. Viele Wähler würden die Parteien daher gar nicht mehr erreichen. "Sie sind enttäuscht, fühlen ihre Interessen von niemanden vertreten — das ist ein Alarmsignal für die Demokratie", mahnt er. Lindh sucht daher ganz eigene Wege, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Beispielsweise, indem er sich mit einem Hocker mitten in die Fußgängerzone setzt, in den Händen ein Schild: "Politiker zum Anfassen. Sprechen Sie mich an." Dafür habe er schon Kritik einstecken müssen. Wie ein Bettler sehe er aus. Doch das kümmert ihn nicht. "Ich meine das absolut ernst", versichert der Bildungsobmann der SPD und Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt. Die Reaktionen der Wuppertaler seien unterschiedlich. "Manche nehmen es wörtlich und fassen mir an den Arm, andere lächeln und winken mir zu, aber manch einer bleibt auch stehen und dann kommt man ins Gespräch."

Manchmal verteile er auch Karten mit seiner privaten Handynummer: "Falls sie mal was auf dem Herzen haben."

Übrigens: Helge Lindh ist Wuppertaler durch und durch. Wer ihn nach seiner Stadt fragt, sollte Zeit mitbringen, denn da gerät er richtig ins Schwärmen. "Ich bin fanatischer Wuppertaler, ein echter Lokalpatriot", bekennt er, holt Luft und zählt auf: Die topographischen Wechsel der Stadtviertel liebe er, das leicht Angeschlagene, Raue und Ungeschminkte der Stadt. Die Trasse — "das ist Demokratie in Wegform" —, die Kulturvereine und Start-ups, die vielseitige Kunstszene, die unzähligen Ehrenämtler, den Menschenschlag — kreativ und schräg — "immer ein bisschen neben der Spur".

Vielleicht ein kleines bisschen wie er selbst.

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